»Es ist ganz wichtig, Schülern eine zweite, vielleicht auch mal eine dritte Chance zu geben«

»Es ist ganz wichtig, Schülern eine zweite, vielleicht auch mal eine dritte Chance zu geben«

Vielfalt, Fachkompetenz und das Interesse am Schüler – so würde Schulleiterin Anja Unger ihr Berufliches Schulzentrum für Agrarwirtschaft und Ernährung in Dresden in drei Worten beschreiben. Was die Schule genau zu bieten hat und weshalb sie so besonders ist, zeigen wir im Interview.

Hallo Anja Unger! Wie schön, dass Sie da sind. Stellen Sie sich doch bitte kurz vor.

Mein Name ist Anja Unger, ich arbeite seit sieben Jahren als Schulleiterin am Beruflichen Schulzentrum für Agrarwirtschaft und Ernährung in Dresden – und das mit Leidenschaft. Ich bin inzwischen seit 25 Jahren Lehrerin, studierte Gymnasiallehrkraft für Geschichte und Deutsch. Mein Weg begann direkt im beruflichen Bereich. Zunächst habe ich an verschiedenen Beruflichen Schulzentren gearbeitet: als Lehrerin, als Fachkonferenzleiterin und als Fachleiterin. Anschließend war ich zwei Jahre als Referentin im Sächsischen Kultusministerium tätig und habe mich schließlich als Schulleiterin beworben.

Ich bin unglaublich froh, hier zu sein. Unser BSZ ist toll! Mit großartigen Lehrerinnen und Lehrern wie auch Schülerinnen und Schülern. Wir haben an unserer Schule vielfältige Berufe entlang der Wertschöpfungskette und verschiedene Schularten unter »einem Dach«.

Die Beruflichen Schulzentren in Sachsen begleiten junge Menschen auf ihrem Weg zum Beruf und bereiten sie damit auf die Zukunft vor. Welche Ausbildungsmöglichkeiten gibt es an Ihrem BSZ?

Die Ausbildungsmöglichkeiten an unserem BSZ sind groß: Wir haben das Berufliche Gymnasium, die Fachoberschule, die Fachoberschule+, das Berufsvorbereitungsjahr, das Berufsgrundbildungsjahr und drei Vorbereitungsklassen. Das Hauptstandbein unserer Schule ist die Berufsschule mit 16 Ausbildungsberufen. Unsere Schüler können die traditionellen Handwerksberufe wie Brauer, Bäcker und Fleischer erlernen, wir bieten aber auch eine große Palette der »Grünen Berufe« wie Landwirt, Gärtner oder Florist an.

Wichtig ist vor allem eins: Der Blick auf die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler. Viele Jugendliche kommen mit ungenauen Vorstellungen zu uns. Die Kunst besteht also darin, ihnen Perspektiven aufzuzeigen. Die Entscheidung treffen sie dann natürlich selbst.

   

An allen Ecken und Enden strotzt es an Ihrem BSZ vor Ideen, Vielfalt und gutem Miteinander. Was macht Ihre Schule so besonders?

Zum einen bieten wir den Schülerinnen und Schülern viele Möglichkeiten. Wir machen uns Gedanken, was für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Berufsausbildung wichtig ist und worin eigentlich unsere Aufgabe als Schule liegt – selbstverständlich die Schüler zum bestmöglichen Abschluss zu führen. Aber Schule bedeutet noch ein Stück mehr, mehr als nur das Lernen. Sie bedeutet auch, soziale Kontakte zu pflegen und sich selbst, etwa in verschiedenen Projekten, zu entdecken: Wie bin ich als Mensch? Wie will ich sein? Wo liegen meine Stärken? Wie will ich mich entwickeln? Wir wollen an unserem BSZ im Sinne des lebenslangen Lernens also auch Wege aufzeigen.

Zum anderen arbeiten an unserer Schule alle knapp 90 Lehrerinnen und Lehrer mit ganzem Herzblut. Es ist für mich als Schulleiterin immer wieder bewundernswert, mit welcher Liebe zum Detail und welchem Engagement sie jeden Tag ihren Unterricht gestalten. Wie es ihnen immer wieder gelingt, junge Menschen zu begeistern und sie nach Kräften auf ihrem beruflichen Weg zu unterstützen.

Hinzu kommt, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer über viel Fachkompetenz verfügen. Die meisten haben einen Beruf in ihrer jeweiligen Branche erlernt. Wir haben zum Beispiel den ausgebildeten Brauer, der später noch studiert hat, den Landwirt, die Floristmeisterin. Dieses Know-how ermöglicht unseren Schülerinnen und Schülern nicht nur theoretisches, sondern auch sehr praxisorientiertes Lernen. Und wir haben die grundständig ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen, die ihren wissenschaftlichen Kontext mitbringen.

 

In Sachsen gibt es viele Schulleitungen, die mit Herzblut und überdurchschnittlichem Engagement ihren Beruf ausüben. Sie sind eine davon. Was treibt Sie an? Warum sind Sie Schulleiterin geworden?

Ich wollte den Schritt aus der Verwaltung wieder zurück in die Schulpraxis gehen und habe mich bewusst für dieses BSZ entschieden. Die Vielfalt an Berufen und Projekten hat mich gereizt. Hier erlebe ich tatsächlich tagtäglich, wie wichtig es ist, dass es Akteure gibt, die sich für junge Menschen engagieren und auf Details achten. Was macht Berufsausbildung in dem jeweiligen Beruf aus? Was macht den Menschen aus? Jede und jeder ist unterschiedlich. Den Einzelnen mit seinen Stärken abzuholen, ist nicht nur meine Aufgabe, sondern die Aufgabe eines Lehrers generell.

Als Schulleiterin kann ich außerdem den Gesamtblick wahren und mit Schülern und Lehrern arbeiten. In meiner Funktion kann ich meine eigenen Werte – wie eine zukunftsorientierte und moderne Schule in und für Sachsen aufzubauen – umsetzen und Prozesse der Schulentwicklung aktiv voranbringen.

 

Auf welche Momente in Ihrem Job blicken Sie besonders gern zurück?

Es gibt viele Momente persönlicher Natur, etwa mit meinen Kolleginnen und Kollegen, und die, die wir als Schule gemeinsam erlebt haben. Dazu gehört zum Beispiel der Oktober 2020, als wir Klimaschule geworden sind und der Mai 2018, als wir den Sächsischen Schulpreis verliehen bekommen haben. Diese beiden Auszeichnungen tragen uns, auch weil wir als Schule gemeinsam dahinterstehen.

Auch als ich 2013 den Deutschen Lehrerpreis in Berlin erhalten habe, war das unheimlich motivierend für mich. Das Feedback zu bekommen, meine Arbeit ist richtig und wichtig, hat mich in meinem Tun bestärkt – und vor allem die Begründung der Schüler, die mich für den Preis nominiert haben, hat mich sehr berührt: »Sie sahen in uns rohe Diamanten, die Sie drei Jahre lang schliffen und zum Abschlussball als Brillanten präsentierten«.

Es gibt außerdem fast jeden Tag kleine Momente, die nicht immer im Vordergrund stehen, aber eine Erfolgsgeschichte für einen Schüler sind und damit für uns alle hier. Als Schulleiterin erfüllt mich das jedes Mal mit Stolz.

Ihre Tatkraft, das Beste für Schule in Sachsen zu erreichen, endet nicht bei Ihrem Job als Schulleiterin. Sie haben sich auch beim »Bildungsland Sachsen 2030« aktiv beteiligt. Was braucht es für zukunftsfähige Berufliche Schulzentren im Freistaat?

Ich glaube, Visionen zu entwickeln und weiter als bis morgen oder übermorgen zu schauen, geht uns manchmal verloren. Aus diesem Grund fand ich die Möglichkeit, an der Schule der Zukunft mitwirken zu dürfen, meine Erfahrungen und Wünsche einbringen zu können, toll. Die Mitarbeit am Projekt hat Ideen hervorgebracht, die ich für meine Tätigkeit selbst umsetzen kann und möchte. Sie hat auch gezeigt, dass es viele Menschen gibt, die an einer Weiterentwicklung für Sachsen insgesamt interessiert sind. Dieses gemeinsame Interesse hat mich sehr beeindruckt.

Berufliche Schulzentren leben von der Praxis. Sie brauchen eine enge Verbindung zu den Ausbildungsbetrieben und die Möglichkeit, in der Schule das zu unterrichten, was im Betrieb gebraucht wird und zukunftsorientiert ist. Denn wir bilden an den Beruflichen Schulzentren Schüler aus, die Meisterinnen und Meister werden und die Zukunft unseres Landes gestalten werden. Deshalb ist es wichtig, nicht nur am Heute zu kleben, sondern den Schülerinnen und Schülern auch Ideen für das Morgen mitzugeben. Wir müssen Antworten auf die Frage »Wohin geht es denn mit den Berufen?« geben. Wir wollen nicht nur Verwalter sein. Selbstverständlich unterrichten wir, was der Lehrplan vorsieht, aber wir müssen gerade bei der beruflichen Bildung einen Schritt voraus sein. Und dafür braucht es auch eine angemessene Ausstattung und digitale Anbindung.

Die Herausforderung und der Wunsch konkret für unser BSZ am Standort Altroßthal besteht darin, dass wir dringend Sanierungsmaßnahmen benötigen. Wir brauchen bessere Lernbedingungen, die jungen Menschen die Möglichkeit bieten, ihren besten Abschluss zu machen.

Ich denke, es ist wichtig, dass wir als Berufliche Schulzentren nicht nur in der Erwartungshaltung bleiben, dass der Staat alles für uns regeln muss. Auch wir müssen überlegen, welchen Beitrag können wir leisten. Dafür müssen, wie beschrieben, die Grundbedingungen stimmen. Das heißt für mich: moderne und attraktive Lernbedingungen. Ein BSZ muss genauso attraktiv wie ein Gymnasium sein. Wir sprechen anhaltend über Fachkräftemangel. Schaffen wir gemeinsam gute Bedingungen und überzeugen wir damit junge Menschen, einen der vielen tollen Berufe zu ergreifen, die es in Sachsen gibt.

Zum Abschluss: Warum lohnt es sich, LEHRERIN Sachsen zu werden?

Ich bin Lehrerin geworden, weil ich gern mit Menschen arbeite. Das ist eine Floskel – aber sie stimmt und steht für mich ganz oben. Weil es mir Freude macht, andere zu begeistern und ich möchte auch selbst von anderen begeistert werden. Am Ende ist das Positive am Lehrerberuf die Win-win-Situation für alle: Nicht nur die Lernenden nehmen etwas mit, sondern auch die Lehrkräfte gewinnen viel für sich – aus dem Austausch und der Zusammenarbeit mit Schülern, mit Kolleginnen und Kollegen.

Ich denke, es ist wichtig, auch als Lehrer in unserer Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen. Nicht nur im Klein-Klein verharren und nicht jemand sein, der nur das sieht, was nicht geht. Sondern jemand sein, der es aktiv ändern möchte. Selbstverständlich musst du manchmal auch Gegebenheiten akzeptieren, aber daraus kannst du trotzdem das Beste herausholen.

Ich erlebe an unserem BSZ junge Menschen, die wollen. Natürlich ist das Lernen auch anstrengend. Aber unsere Schülerinnen und Schüler zeigen uns, dass sie sich dieser Anstrengung stellen möchten und sie wissen – zumindest ungefähr – wo die Reise hingehen soll. Selbst, wenn sie es nicht wissen, ist das nicht schlimm. Denn dafür gibt es ja uns und dafür gibt es auch die Möglichkeit, sich immer weiterzuentwickeln. Die Erwartungshaltung, dass ein junger Mensch mit 14, 15 oder 16 Jahren wissen muss, was er die nächsten 20 Jahre arbeiten will, ist irrsinnig – und sie setzt junge Menschen viel zu sehr unter Druck. Ich möchte jungen Erwachsenen die Gelegenheit geben, sich zu entwickeln. Auf dieser Suche festzustellen, das ist etwas für mich und das nicht – und das zu akzeptieren –, macht Schule aus. Ich finde es ganz wichtig, Schülern eine zweite, vielleicht auch mal eine dritte Chance zu geben. Natürlich ist unsere Gesellschaft leistungsorientiert. Aber das kann doch zusammengehen mit sozialen Dingen, mit einem guten Miteinander.

Es liegt an uns, wie die Gesellschaft in 10, in 20 Jahren aussieht. Wir erziehen und bilden junge Leute, wir geben ihnen Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen, sich auszuprobieren und können ihnen nicht jede Entscheidung abnehmen. Vielleicht – und das ist aus meiner Sicht ganz wichtig – müssen wir einfach selbstverständlicher damit leben, dass sie Fehler machen. Genau wie wir alle jeden Tag Fehler machen, genauso ist das auch jungen Menschen zu »gönnen«. Das ist Entwicklung.

Mehr zu den Berufsbildenden Schulen in Sachsen und den zahlreichen, attraktiven Ausbildungsmöglichkeiten gibt es auf unserer Webseite.

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

2 Kommentare

  1. Uwe Schmidt 2 Monaten vor

    Danke für das Interview. Es ist gut, dass es noch so engagierte Lehrerinnen und Lehrer gibt!

    • Autor
      Lynn Winkler - SMK 2 Monaten vor

      Lieber Uwe Schmidt,

      herzlichen Dank für Ihren Beitrag. Anja Unger und ihr Team sind wahrlich mit vollem Einsatz dabei.

      Herzliche Grüße
      Lynn Winkler