Neue Welt des Lernens
Virtual Reality (VR) eröffnet faszinierende Handlungsspielräume für Schule und Unterricht. Leipziger Schulen erproben deshalb die Potenziale dieser noch jungen Technologie: Schülerinnen und Schüler von der Grundschule bis zum Gymnasium entwickeln eigene virtuelle Räume und testen die Chancen und Grenzen von VR.
»Wir haben Glück, dass wir bei diesem Projekt mitmachen dürfen«, sagt Cecilia zu ihrer Freundin Emilia, die zustimmend nickt und ergänzt: »Ich wollte schon immer mal Virtual Reality ausprobieren, ich interessiere mich sehr für neue Technologien.« Die beiden Schülerinnen der 9. Klasse der Leipziger Oberschule Paunsdorf sitzen über Fotos von der Sporthalle ihrer Schule und suchen nach Ideen.
Virtueller Rundgang für alle
Noch stehen sie ganz am Anfang – in den kommenden Wochen entwickeln sie gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der 5. und 8. Klassen in einem jahrgangsübergreifenden Projekt eine virtuelle 360-Grad-Tour durch die Sporthalle. Die Besonderheit: Die Tour soll in verschiedenen Sprachen umgesetzt werden, darunter Ukrainisch, Arabisch, Russisch. Rund 45 Prozent der Schülerinnen und Schüler der Oberschule Paunsdorf haben einen Migrationshintergrund. »Wir hoffen, die VR-Tour später als festes Instrument bei uns etablieren zu können – zum Beispiel auf unserer Website, für Elternabende oder um neue Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache in die Regeln und Räumlichkeiten einzuführen«, erklärt Sport- und Informatiklehrer Oskar-Frank Seifert.
Als er vom Projekt »Virtual Reality an Leipziger Schulen« des Medienpädagogischen Zentrums (MPZ) Leipzig erfuhr, war für ihn sofort klar: »Da wollen wir dabei sein, und es soll etwas mit Sport zu tun haben!« Oskar-Frank Seifert und sein Kollege Christoph Pohl bewarben sich erfolgreich um das Projekt, doch bei der Umsetzung sind nun die Schülerinnen und Schüler federführend. Cecilia und Emilia überlegen, ob später ein Avatar durch die Turnhalle führen soll, Jens aus der 5. Klasse möchte unbedingt erklären, warum es wichtig ist, die Schuhe vorzuzeigen. »Hier ist unsere Kreativität gefragt. Unsere Meinung zählt«, sagt Cecilia.
Digitalität von Anfang an
Vorbild für die geplante 360-Grad-Tour ist ein virtueller Rundgang durch die Pablo-Neruda-Schule, die die Kinder der damaligen 4c im Schuljahr 2022/23 in der ersten Phase des Projektes »Virtual Reality an Leipziger Schulen« erstellt haben. »Was die Grundschülerinnen und -schüler dort geleistet haben, ist wirklich beeindruckend«, sagt Oskar-Frank Seifert. Auch Dana Graber, Lehrerin der ehemaligen Klasse 4c ist stolz auf die Ergebnisse. »Am Anfang standen wir vor der Frage, ob so junge Kinder überhaupt mit dieser Technik umgehen können«, erzählt sie. Doch ihre Schülerinnen und Schüler sind mit digitalen Tools aufgewachsen. »Wegen der Coronapandemie mussten die Kinder von Anfang an lernen, damit umzugehen«, erklärt die Lehrerin, die an zwei Tagen pro Woche außerdem als pädagogische Mitarbeiterin am Medienpädagogischen Zentrum Leipzig arbeitet und die zweite Projektphase an anderen Leipziger Schulen im laufenden Schuljahr begleitet.
Projekt mit Pioniercharakter
Besonders begeistert hat Dana Graber die durchgehend hohe Motivation der Kinder. »Die Schülerinnen und Schüler wollten nicht nur die Technologie kennenlernen, sondern unbedingt auch unser gemeinsam gesetztes Ziel erreichen«, erzählt sie. Anders als jetzt die Oberschule Paunsdorf konnten Dana Graber und ihre Klasse damals nicht auf fertige Produkte oder Konzepte zurückgreifen: Die erste Projektphase war von einem starken Pioniercharakter geprägt. Die Schülerinnen und Schüler der teilnehmenden Schulen – neben der Pablo-Neruda-Schule die Schule am Weißeplatz (Oberschule) und die Werner-Heisenberg-Schule (Gymnasium) – hatten die Chance, sich gemeinsam mit den Lehrkräften für ein individuelles Schulprojekt zu entscheiden, sich das Medium VR selbstständig zu erschließen und die Funktionsweisen zu erlernen. Die Kinder der 4c teilten sich in vier Gruppen auf, um diese Herausforderung zu meistern. Eine Gruppe war für die VR-Software zuständig, die anderen Gruppen kümmerten sich um die Audioaufnahmen, das Storytelling und die 360-Grad-Aufnahmen.
Dana Graber wünscht sich, dass die Kultur der Digitalität künftig noch stärker an den Schulen im Freistaat gelebt wird: »Die fortschreitende Digitalisierung ist nicht zu stoppen. Wir können uns vor dieser Veränderung nicht verstecken, sondern müssen uns anpassen und darauf einstellen – für die Kinder, die in dieser Welt groß werden.« Sie hofft außerdem, dass sich Schulen künftig auch in Eigenverantwortung trauen, vergleichbare Projekte umzusetzen, und ihre Scheu vor neuen Technologien verlieren. Für die Schulen hat sie einen Tipp: »Lasst die Kinder dabei mitsprechen. Sie haben die tollsten Ideen, und wir können viel von ihnen lernen!«
Über das Projekt
Federführend beim Projekt »Virtual Reality an Leipziger Schulen« ist das Medienpädagogische Zentrum (MPZ) Leipzig. Gemeinsam mit den Partnern, der Deutschen Telekom GmbH und der VIL GmbH (Virtuelles Interaktives Lernen), untersucht das MPZ, welches Potenzial Virtual Reality für die schulische Bildung birgt. Die Medienpädagogischen Zentren beraten und unterstützen Schulen bei der Entwicklung der Kultur der Digitalität.
Weitere Informationen
Schulen finden hilfreiche Informationen und Materialien zur Entwicklung der Kultur der Digitalität in der Schule unter: https://mesax.de/kdd.
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Text: Antje Tiefenthal
Fotos: Bastian Bielig