Verbreitung von Kinderpornografie: »Ein Drittel der ermittelten Tatverdächtigen war jünger als 18 Jahre«

Verbreitung von Kinderpornografie: »Ein Drittel der ermittelten Tatverdächtigen war jünger als 18 Jahre«

Die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte ist strafbar. Doch zunehmend teilen immer mehr Schülerinnen und Schüler derartige Bilder und Videos in Chats und sozialen Netzwerken. Wir haben mit Katja Winter, Mitarbeiterin in der Zentralstelle für polizeiliche Prävention des Landeskriminalamtes Sachsen, gesprochen.

Frau Winter, die Verbreitung kinderpornografischer Darstellungen hat unter Schülerinnen und Schülern über die sozialen Netzwerke und vor allem über Messengerdienste wie WhatsApp stark zugenommen. Von welchen Inhalten sprechen wir konkret? Und wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Es ist tatsächlich so. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) war 2020 in Sachsen etwa ein Drittel der ermittelten Tatverdächtigen bei der Verbreitung, dem Erwerb, dem Besitz und der Herstellung von Kinderpornografie über das Tatmittel Internet jünger als 18 Jahre – und das ist nur das Hellfeld. Wir gehen davon aus, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches größer ist, da Taten in diesem Setting selten angezeigt werden. Besonders besorgt sind wir, weil die Anzahl der tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen in diesem Deliktsbereich von 2019 bis 2020 um 45 Prozent zugenommen hat. Und dieser Trend scheint sich fortzusetzen.

Sehr oft geht es dabei um Fotos, Videos oder häufig auch »Sticker«, die konkrete Missbrauchshandlungen an Kindern zeigen. Jugendliche, aber auch Kinder verbreiten und teilen diese Inhalte über Messengerdienste wie zum Beispiel Snapchat oder WhatsApp, in Chatgruppen von Onlinespielen oder auch über soziale Netzwerke wie Facebook. Unsere Ermittlerinnen und Ermittler der Kriminalpolizei stellen bei Vernehmungen fest, dass sich die Schülerinnen und Schüler dabei meist überhaupt nicht bewusst sind, was sie da weiterleiten. Wir haben den Eindruck, dass sie oft aus Leichtsinn oder aus Gewohnheit, alles weiterzusenden, handeln. Und die meisten der minderjährigen Tatverdächtigen wissen ganz einfach nicht, dass es sich um strafbare Darstellungen handelt und was das für die Opfer bedeutet. Manche wollen auch Gleichaltrige schocken, provozieren oder mobben.

Sind sich die Jugendlichen ihrer Handlungen und der damit verbundenen Folgen überhaupt bewusst?

Wie schon erwähnt, fehlt den minderjährigen Verbreiterinnen und Verbreitern meist das Bewusstsein dafür, dass sie Darstellungen von realen Missbrauchshandlungen an Kindern weiterleiten. Sie können nicht reflektieren, dass sie durch den Konsum solcher Inhalte die Opferwerdung reproduzieren und auch dazu beitragen, dass Kinderpornografie an immer mehr Menschen verbreitet und dadurch sexuelle Gewalt an Kindern möglicherweise gefördert wird.

Darüber hinaus wissen viele minderjährige Tatverdächtige nicht, dass sie sich ab einem Alter von 14 Jahren mit der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte strafbar machen. Auch beispielsweise die Mitglieder einer WhatsApp-Gruppe können sich strafbar machen, da sie mit dem Erhalt einer solchen Nachricht in den sogenannten »Besitz« gelangen. Somit geraten auch unfreiwillige Empfängerinnen und Empfänger in den Fokus der Ermittlungen. Natürlich müssen unsere Kolleginnen und Kollegen dazu die Datenträger wie Handys oder PCs beschlagnahmen. Die sind dann erst einmal für längere Zeit weg.

Da seit Juli 2021 die beschriebenen Handlungen juristisch sogar als Verbrechen eingestuft werden, sollten Schülerinnen und Schüler unbedingt über das Phänomen und die Strafbarkeit aufgeklärt werden.

Schülerinnen und Schüler besitzen oder teilen freiwillig erstellte »Pornoselfies« anderer, aber häufig ohne Einwilligung der dargestellten Person. Wie sollten oder müssen sich Schulen verhalten, sobald sie davon Kenntnis haben?

Sie sprechen ein weiteres Problem an. Freizügige oder intime Fotos von sich an seine Partnerin oder seinen Partner zu versenden, ist heute normal in Beziehungen. Es wird dann problematisch bzw. strafrechtlich relevant, wenn diese Bilder oder Videos unter Zwang, Erpressung oder ohne Wissen der oder des Betroffenen entstehen oder aber ohne Einverständnis der abgebildeten Person einfach weitergeleitet werden. Nicht selten passiert das nach dem Ende einer Beziehung, um sich beispielsweise zu rächen oder um jemanden bloß zu stellen. Zu kinderpornografischem Material wird das Foto oder Video, wenn eine Person unter 14 Jahren mit sexuellem Bezug darauf abgebildet ist. Wer so etwas weiterleitet, teilt oder erpresst, begeht also ebenfalls eine schwerwiegende Straftat.

Sollten Schulleitungen, Lehrkräfte oder Eltern erfahren, dass in Messengergruppen der Schülerinnen und Schüler solche Inhalte kursieren, appelliert die Polizei dringend, das erzieherische Gespräch zu suchen. Den Empfängerinnen und Empfängen wird empfohlen, diese Nachrichten keinesfalls weiterzuleiten und vor dem Verlassen der Chatgruppe deutlich zu machen, dass diese Art der Bilder oder Videos unerwünscht sind. Generell gilt: Wer unfreiwillig Kinderpornografie zugeschickt bekommt, sollte die Absender dem Netzwerkbetreiber oder der Internet-Beschwerdestelle melden. Eine Anzeige bei der Polizei kann dagegen helfen, die (i. d. R. erwachsenen) Herstellerinnen und Hersteller von Missbrauchsabbildungen zu ermitteln und zur Verantwortung zu ziehen. Auch der Zivilrechtsweg für Betroffene, wenn beispielsweise das Recht am eigenen Bild verletzt wurde, ist für Familien denkbar.

Welche Maßnahmen ergreift die Polizei, um die Verbreitung von Kinderpornografie in digitalen Medien zu stoppen? Was können Lehrerinnen und Lehrer oder auch Eltern tun?

Die Polizei hat bundesweit eine Öffentlichkeitskampagne unter dem Titel »sounds wrong« gestartet, um Mädchen und Jungen über dieses Phänomen aufzuklären. Wir nutzen dafür beispielsweise spezielle Videoclips und kurze Textposts, die wir auch über die Social-Media-Kanäle der sächsischen Polizei veröffentlichen, um vor allem Kinder und Jugendliche dort anzusprechen, wo sie ganz oft »unterwegs« sind und sich informieren. Eltern, Lehrkräfte sowie andere Erwachsene aus dem sozialen Umfeld werden ebenfalls dafür sensibilisiert. Sie finden u. a. auf der Kampagnenseite www.soundswrong.de Hintergrundinformationen sowie Hinweise zur Strafbarkeit als auch Handlungsempfehlungen zum Umgang mit solchen Nachrichten und zur Anzeige.

Welche konkrete Unterstützung gibt es für Schulen, die zu diesem Thema aufklären wollen? Wohin können sie sich wenden?

Bereits im November des vergangenen Jahres haben wir mit Unterstützung des Landesamtes für Schule und Bildung alle Schulleitungen und Lehrkräfte in Sachsen über einen ausführlichen Artikel auf dem Schulportal und auf dem Infoportal »Schulische Qualitätsentwicklung« in Kenntnis gesetzt und geeignete Unterrichtsmaterialien empfohlen. Außerdem erhalten im ersten Quartal 2022 alle weiterführenden Schulen im Freistaat Sachsen Plakate zum Aufhängen im Schulhaus. Wir möchten damit explizit die Schülerinnen und Schüler ansprechen und auf die Problematik hinweisen. Auch um auf Rückfragen der Lernenden oder der Eltern reagieren zu können, sollten Lehrkräfte sich deshalb mit dieser Thematik beschäftigen.

Unterstützende Informationen dazu bietet die Polizei Sachsen in ihren Eltern- und Lehrerveranstaltungen unter dem Titel »Gefahren im Umgang mit digitalen Medien« an. In Präventionsveranstaltungen für Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen zum Thema »Cybermobbing« oder »Urheberrecht und Datenschutz« wird die Problematik ebenfalls kurz angerissen. Aber – und das ist mir besonders wichtig darauf hinzuweisen – die Präventionsangebote der Polizei ergänzen, aber ersetzen ausdrücklich nicht die gewaltpräventive und sexualpädagogische Arbeit in eigener Verantwortung der Schulen. Bei Interesse wenden sich Schulen bitte an den Fachdienst Prävention in ihrer zuständigen Polizeidirektion.

Katja Winter ist Mitarbeiterin in der Zentralstelle für polizeiliche Prävention des Landeskriminalamtes Sachsen

Weitere Hinweise zur Medienbildung

Das Interview macht deutlich, dass die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte das Themenfeld Medienbildung in einem umfassenden Sinne betrifft. Themen wie Datenschutz und die Reflexion des eigenen Nutzungsverhaltens sind Zielbereiche der Medienbildung in der Schule. Einen Überblick zur Medienbildung und ihren Zielen und Handlungsfeldern bietet die Konzeption »Medienbildung und Digitalisierung in der Schule« des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus. Der enthaltene Kompetenzrahmen konkretisiert die Anforderungen an die Kompetenzentwicklung der Kinder und Jugendlichen.

Weitere Informationen

Weitere Informationen zum Versenden von Kinderpornografie durch Minderjährige und zur Aufklärungskampagne der Polizei finden Sie unter www.polizei.sachsen.de und unter www.soundswrong.de.

Die Broschüre erfahrener Pädagoginnen und Pädagogen der Aktion Jugendschutz Nordrhein-Westfalen »Cyber-Grooming, Sexting und sexuelle Grenzverletzungen« richtet sich an Lehrkräfte und Eltern. Ziel ist es, Kinder und Jugendliche im digitalen Alltag zu begleiten und langfristig zu befähigen, sich selbst zu schützen (bestellbar oder als Downloadversion unter www.ajs.nrw).

Empfehlenswerte Unterrichtsmaterialien gibt es auf www.klicksafe.de, zum Beispiel:

  • Arbeitsmaterial »Let`s talk about Porno«
  • Arbeitsmaterial »Zu nackt fürs Internet?«
  • Flyer für Schülerinnen und Schüler »Zu nackt fürs Internet?«
  • Lehrmaterial »Selfies, Sexting, Selbstdarstellung«

Eltern können sich mit Fragen rund um die Medienbildung an die Koordinierungsstelle Medienbildung (KSM) wenden. Sie ist dauerhafter Ansprechpartner für die sächsische Bevölkerung und berät bei konkreten Bedarfen zur Medienbildung.

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

0 Kommentare