»Zusammenarbeit ist der Schlüssel für eine erfolgreiche schulische Inklusion!«
Julia Twieg arbeitet seit 2017 als Inklusionsassistentin an der 116. Oberschule in Dresden. Bei einem Besuch vor Ort an ihrer Schule haben wir mit ihr über ihren Arbeitsalltag und die damit verbundenen Aufgaben, Besonderheiten und Herausforderungen gesprochen.
Rund 500 Schüler besuchen aktuell die 116. Oberschule Dresden. Die Schule umfasst 18 Klassen im Realschulbereich, zwei Hauptschulgruppen und zwei Vorbereitungsgruppen Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Wo genau sind Sie im Einsatz?
Mein Fokus liegt auf den 5. und 6. Klassenstufen. Dort werde ich überwiegend eingesetzt. Ich unterstütze aber auch vereinzelt Schülerinnen und Schüler der 7. Klassenstufe.
Sie begleiten die Schülerinnen und Schüler im Prozess des Ankommens an ihrer neuen Schule. Welche Aufgaben werden Ihnen dabei übertragen?
Ich werde in die Planung und Gestaltung der ersten Schulwochen mit einbezogen. Am ersten Schultag versammeln sich alle neuen Schülerinnen und Schüler, ihre Eltern und unser gesamtes Kollegium zur Begrüßung auf dem Schulhof. Ich stelle mich dabei namentlich vor und spreche kurz zu meinen Aufgaben. Gemeinsam mit unseren Lehrkräften sowie der Schulsozialarbeit gestalte ich verschiedene Angebote in der Einführungswoche mit – wie z. B. das Zirkusprojekt – oder ich begleite sie bei Wanderungen. Dadurch lerne ich die neuen Schülerinnen und Schüler gleich zu Beginn kennen.
Wie gewinnen Sie Teilnehmerinnen und Teilnehmer für das Angebot?
Zunächst verschaffe ich mir während der gemeinsamen Kennenlernwoche einen Überblick über die neuen Schülerinnen und Schüler, beobachte sie in unterschiedlichen Situationen und erhalte erste Eindrücke hinsichtlich ihres (Lern-)Verhaltens. Des Weiteren hospitiere ich im Unterricht der 5. Klassenstufen. Hierbei lassen sich bereits potenzielle Teilnehmerinnen und Teilnehmer erkennen. Anschließend schildere ich meine Beobachtungen und Eindrücke der jeweiligen Klassenleitung, welche mir im weiteren Verlauf ggf. eine Einsicht in vorhandene Unterlagen der Schülerin oder des Schülers ermöglicht. Die Auswahl der potenziell teilnehmenden Schülerinnen und Schülern erfolgt in Abstimmung mit der Lehrkraft. Im gemeinsamen Elterngespräch stelle ich das Vorhaben Inklusionsassistent vor und schildere ihnen meine Arbeitsweise sowie das individuelle Vorgehen. Eine Teilnahme am Vorhaben Inklusionsassistent erfolgt nur, wenn sowohl die Eltern als auch die Schülerin oder der Schüler selbst einer Zusammenarbeit zustimmen. Auch bei Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf erfolgt eine Aufnahme nur, wenn diese von allen Beteiligten erwünscht ist. Pro Schuljahr habe ich ca. fünf bis zehn Teilnehmende.
Die Arbeit als Inklusionsassistentin kann eine Vielzahl an unterschiedlichen Aufgaben beinhalten. Welche konkreten Tätigkeiten gehören zu Ihrem Arbeitsalltag?
Ich begleite die Schülerinnen und Schüler im Unterricht. Dabei unterstütze ich sie bei der Bewältigung von Aufgabenstellungen und arbeite gemeinsam mit ihnen an ihrer Arbeitsorganisation. Des Weiteren führe ich in Absprache mit der jeweiligen Lehrkraft Einzel- und Gruppenförderungen durch. Diese erfolgen in der Regel einmal pro Woche für je eine Zeitstunde und werden entsprechend der individuellen Bedarfe ausgerichtet. Ein großes Thema ist oftmals die Ordnung am eigenen Arbeitsplatz. Mit Hilfe von geeigneten Materialien, wie z. B. einer Schreibunterlage oder eingeübten Abläufen, erarbeite ich gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern eine eigene Arbeitsstruktur und möchte sie zeitgleich dazu motivieren, diese beizubehalten. Selbstverständlich führe ich auch fachspezifische Fördereinheiten zu bestimmten Themengebieten sowie eine gezielte Förderung der Sozialkompetenzen durch. Hierfür nutze ich sehr gern verschiedene Fördermaterialien, wie haptische Materialien aus der Materialbox zur individuellen Förderung, verschiedene Lern-Apps, geeignete Arbeitsblätter, Bücher oder Lernvideos bekannter Plattformen, welche ich mir über einen längeren Zeitraum hinweg selbst angelegt oder im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen und Netzwerktreffen kennengelernt habe.
Im Schulalltag unterstütze ich zudem die Lehrkräfte bei organisatorischen Aufgaben, beantworte Fragen zum Thema Inklusion, erarbeite gemeinsam mit den Lehrkräften Förderpläne und erstelle Zuarbeiten für Entwicklungsberichte. Vielfach werde ich gebeten, an Elterngesprächen oder Elternabenden teilzunehmen. Hierbei schildere ich meine Beobachtungen, stelle Ergebnisse oder Erkenntnisse meiner Arbeit vor. Im Rahmen der Dienstberatungen oder Lehrerkonferenzen gebe ich meinen Kolleginnen und Kollegen einen Einblick in meine Arbeit und berichte über aktuelle Entwicklungen. Eine transparente Kommunikation und Arbeitsweise sind mir dabei besonders wichtig.
Die Vielfältigkeit Ihrer Aufgaben setzt eine gute Zusammenarbeit voraus. Wie gestaltet sich diese an Ihrer Schule?
Ja, das stimmt. Wir haben eine gute Zusammenarbeit. Das ist für mich der Schlüssel für eine erfolgreiche schulische Inklusion. Unser Team setzt sich aus Lehrkräften, zwei Schulsozialarbeiterinnen, zwei Praxisberaterinnen, drei strukturgebundenen Schulbegleitern, einer Inklusionsassistentin, einem Theaterpädagogen sowie einem Berufseinstiegsbegleiter zusammen. Hinzu kommt ein großes externes Hilfenetzwerk, wozu unter anderem die Autismusambulanz Dresden gehört. Durch regelmäßig stattfindende Dienstberatungen im großen Team sowie in kleinen Arbeitsgruppen, wie beispielsweise dem Inklusionsteam, werden relevante Informationen zeitnah weitergegeben. Oftmals tausche ich mich auch mit meinen Kolleginnen und Kollegen in den Pausen oder bei uns im Büro aus. Die Einzelgespräche sind meist sehr aufschlussreich für meine eigene Arbeit. Unserem Schulleiter ist eine gute Zusammenarbeit im Kollegium sehr wichtig. Er fördert den gemeinsamen Austausch, veranlasst offene Netzwerktreffen und verfolgt eine transparente Kommunikationsform. Vor diesem Hintergrund werden wichtige Informationen von ihm verschriftlicht und über das schulinterne Mailsystem bzw. LernSax an alle Mitarbeitende versandt.
Zudem werden in kleinen Arbeitsgruppen Problemlagen besprochen und gemeinsam Lösungen erarbeitet, welche als Ergebnisse in den Dienstberatungen vorgestellt werden. So habe ich beispielsweise zusammen mit unserer Schulsozialarbeit einen Modulkatalog für die einzelnen Klassenstufen entwickelt, welcher bestimmte Präventionsprogramme enthält.
Je nach Klassenstufe und Alter der Schülerinnen und Schüler gehören dazu Programme in den Bereichen Sozialtraining, Mediennutzung, psychische Gesundheit, Mobbing, Stressmanagement und weitere. Die Programme wurden von uns selbst entwickelt und mit eigenen Methoden und Spielideen ausgestattet. Als Vorlage dienten uns dafür bereits bestehende Präventionsprogramme, welche wir auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler angepasst haben. Gern nutze ich die Materialien auch für die Arbeit mit meinen Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Vorhabensbereich Inklusionsassistent. Die einzelnen Programme folgen einer klaren Struktur aus Einführung, Gruppenarbeit, Ausarbeitungen und Rollenspielen. Gemeinsam mit den Klassenleitungen führen wir das entsprechende Präventionsprogramm in Form eines Halbtags- oder Ganztagsprojektes durch. Der Fokus liegt für mich dabei auf den Schülerinnen und Schülern, welche ich als Inklusionsassistentin unterstütze. Die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten erfolgt auf Augenhöhe. Generell pflegen wir einen respektvollen Umgang miteinander. Daher fühle ich mich sehr wohl und akzeptiert in meinem Team.
Ihre Ausführungen zeigen, wie vielseitig Ihre Arbeit als Inklusionsassistentin ist. Gibt es besondere Höhepunkte in Ihrer bisherigen Tätigkeit, von denen Sie uns berichten möchten?
Ja, gern. Einer der Höhepunkte meiner Arbeit ist für mich das Avatar-Projekt. Unsere Schule nimmt an einem Pilotprojekt teil, bei dem schwer erkrankte Schülerinnen und Schüler durch einen Avatar-Telepräsenzroboter beschult werden. Ende des letzten Schuljahres wurden zwei Geräte an unserer Schule in Betrieb genommen. Als Inklusionsassistentin unterstütze ich die erkrankten Schülerinnen sowie deren Eltern hinsichtlich der technischen Anwendung und regulären Nutzung des Avatars. Anfangs gab es große technische Schwierigkeiten und Bedenken bezüglich des Einsatzes. Gemeinsam mit dem Projektteam habe ich verschiedene Strategien entwickelt, um die Nutzung der Avatare so barrierearm wie möglich zu gestalten. Mein Fokus lag dabei auf den beiden Schülerinnen, die den Avatar über eine App von zuhause aus bedienen. Während der Einführungsphase habe ich ihnen alle wichtigen Funktionen gezeigt und die individuelle Nutzung der Avatare mit ihnen gemeinsam vorbereitet. Der regelmäßige Einsatz wird von unserem Projektteam, zu dem auch die Eltern der Schülerinnen gehören, begleitet und ausgewertet. Die Schülerinnen selbst berichten mit großer Freude über die Nutzung der Avatare. Man merkt dadurch sehr deutlich, wie wichtig die soziale Teilhabe für sie ist. Auch die Mitschülerinnen und Mitschüler reagieren durchweg positiv und freuen sich darüber, dass alle wieder gemeinsam lernen können. Dies ist für mich als Inklusionsassistentin sehr wichtig. Das schönste Feedback jedoch kommt von den erkrankten Schülerinnen selbst. Sie erzählten mir im Gespräch, dass sie sich nun wieder als Bestandteil der Klassengemeinschaft fühlen.
Sie sind sehr engagiert im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Vorhabens Inklusionsassistent sowie Ihrer Profession als Inklusionsassistentin selbst. Welche Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie für den Vorhabensbereich und was wünschen Sie sich diesbezüglich?
Ich würde mir für uns als Inklusionsassistentinnen und Inklusionsassistenten eine Weiterentwicklung unserer Profession wünschen, welche mit einem klaren Berufsbild einhergeht und Möglichkeiten zur Erweiterung der eigenen Qualifikationen beinhaltet. Wir sind in unserem Aufgabenfeld einschränkt, dabei könnten wir so viel mehr bewirken, wenn man uns lässt. Des Weiteren sehe ich Entwicklungsmöglichkeiten bezüglich der Zusammenarbeit mit Projektträgern, speziell im Hinblick auf die Kommunikation. Die Projektträger interpretieren das Vorhaben Inklusionsassistent sehr unterschiedlich. Dementsprechend sind auch die Kommunikationsstrukturen zwischen Projektträger und der entsprechenden Schule sowie der Inklusionsassistentin bzw. dem Inklusionsassistent sehr verschieden. Hier würde ich mir eine Verbindlichkeit wünschen, welche den gemeinsamen Austausch aller beteiligten Akteure beinhaltet. Mit Blick auf die Qualitätsentwicklung im Vorhaben Inklusionsassistent würde ich eine gezielte Einarbeitung neuer Projektträger als sinnvoll erachten, jedoch bedarf es dabei einer klaren Regelung seitens der Verantwortlichen.
Das Interview führte die Servicestelle Inklusionsassistent (SIA).