»Bildung für nachhaltige Entwicklung soll jede Schule in Sachsen erreichen«
Wie wird Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) konkret von den acht regionalen Servicestellen in Sachsen in Bildungseinrichtungen vor Ort verankert? Die Chemnitzer Koordinatorin gibt uns einen Einblick – Teil 2.
Frau Claudia Stöcker, Sie sind Koordinatorin der sächsischen Servicestelle BNE für die Regionen Chemnitz, Erzgebirge und Mittelsachsen bei der »solaris Förderzentrum für Jugend und Umwelt gGmbH Sachsen«.
Es gibt drei Hauptaufgaben unserer Servicestelle bzw. der Servicestellen allgemein: 1) Beratung. Die gibt es für alle, die BNE in der Region anbieten oder die das Thema in ihrer Bildungseinrichtung neu etablieren wollen. 2) Netzwerkarbeit: von BNE-Anbietenden bei uns in der Region. Dazu gehört neben dem Kennenlernen der Akteure auch das Kennenlernen der konkreten Arbeit, also der jeweiligen Spezialisierung. Wir versuchen alles, was bereits vorhanden ist, zusammenzubringen. 3) Lotsenprogramm. Beim neuen BNE-Lotsen-Programm begleiten wir vier Bildungseinrichtungen pro Jahr ganz intensiv.
Welche Expertise bringen Sie für Ihre Arbeit in der Chemnitzer Servicestelle mit?
Wir beschäftigen uns schon seit vielen Jahren mit dem Thema. Unser Kollegium hat sich dabei immer wieder mithilfe von verschiedenen Schulungen selbst BNE-Kompetenzen angeeignet. Dabei ist besonders die tolle Unterstützung der TU Chemnitz hervorzuheben. Prof. Dr. Marlen Gabriele Arnold von der Professur für Umweltökonomie und Nachhaltigkeit hat uns sehr intensiv begleitet, Workshops für uns und mit uns konzipiert und durchgeführt. Kurzum: Wir haben die BNE-Brille aufgesetzt und seitdem ist sie unser ständiger Begleiter.
Außerdem bringe ich als Ingenieurin für Umweltverfahrenstechnik viel Know-how aus dem Bereich Anlagenbau und -planung mit.
Die Servicestellen BNE bieten seit diesem Jahr im Rahmen des »BNE-Lotsen-Programms« eine individuelle Begleitung für Schulen über einen Zeitraum von einem Jahr an. Schulen, die BNE stärker in ihren Alltag integrieren möchten, können sich also an Sie wenden. Wie genau? Welche Voraussetzungen müssen sie dafür erfüllen? Wie können wir uns die Unterstützung vor Ort genau vorstellen?
Alle interessierten Bildungseinrichtungen, die am BNE-Lotsen-Programm teilnehmen möchten, können sich ganz unkompliziert direkt bei uns bzw. der Servicestelle in ihrer Region melden. Das können Schulen, aber auch Kitas und alle weiteren Bildungseinrichtungen sein. In diesem Jahr betreuen wir in unserer Region einen Hort und drei Schulen.
Im Lotsenprogramm spielt die BNE-Lotsin bzw. der BNE-Lotse die Schlüsselrolle. Das sollte am besten jemand sein, für den BNE ein Herzensthema ist. Möglich sind auch zwei Vertreter der Einrichtung als Tandem-Lösung. Die Lotsen begleiten wir sehr eng: Wir erklären das Programm, den Ablauf über das Jahr hinweg. Den Hauptpunkt des Programms bildet der »Runde Tisch«. Diesen initiieren und führen die Lotsen. Er ist für alle in der Einrichtung offen, jede und jeder, der möchte, kann teilnehmen – egal, ob Schüler, Lehrkräfte, Eltern, Hausmeister. Das Tisch-Format findet einmal im Monat und stets mit einer Begleitung aus der Servicestelle, in unserem Fall bin ich immer mit dabei, statt. Dabei werden die Ziele und Maßnahmen, die in der Einrichtung von und mit BNE umgesetzt werden sollen, demokratisch und partizipativ erarbeitet. Darüber hinaus informieren wir als Servicestelle die Lotsen über Weiterbildungen und die Angebote des BNE-Portals.
Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit mit den Schulträgern?
Aktuell sind noch keine Schulträger dabei. Aber wir wünschen uns für die Zukunft, dass Kommunen als Lotseneinrichtungen am sächsischen BNE-Lotsen-Programm teilnehmen. Das erachten wir als ungeheuer sinnvoll. Denn gerade, wenn es um bauliche Veränderungen wie die Neugestaltung des Schulhofs, eine Dachbegrünung oder einen neuen Schulgarten geht, ist der Schulträger, also häufig die Kommune, verantwortlich. Mit den Schulträgern im BNE-Boot können solche baulichen oder strukturellen Veränderungen direkt mitgedacht werden.
BNE im Schulalltag ist alles andere als trocken und langweilig. Erzählen Sie uns doch einmal von Ihren Erfahrungen aus der Praxis. Ihr schönstes BNE-Praxis-Beispiel ist …?
Dabei muss ich an einen Hort im Erzgebirge denken. Es war der erste »Runde Tisch« in der Einrichtung, bei dem wir uns mit zehn Kindern und vier Erwachsenen zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (UN) ausgetauscht haben. Wir als Servicestelle haben kindgerechten Input zum Thema geliefert und die Kleinen waren wie aufmerksame Mäuse, sie haben alle Informationen so interessiert aufgesaugt. Das war eine tolle Erfahrung.
Beim ersten Austausch ging es auch um die Frage: Was ist euch als Hortkindern für euren Hort wichtig? Die Ideen sprudelten nur so in die Runde: »weniger Müll, nicht so viel Plastik«, »mehr Bäume und ein Beet«, »nicht so viel Essen verschwenden«, »eine Solaranlage«, »allen zuhören und alle ausreden lassen«, »ein Insektenhotel« und vieles mehr. Jetzt machen sich die Erwachsenen und die Kinder gemeinsam auf den Weg, den Hort zukunftsfähig zu gestalten.
Eine andere, schöne Erinnerung habe ich an eine Chemnitzer Oberschule. Im Rahmen des fächerverbindenden Unterrichts haben wir mit Sechstklässlern Projekttage durchgeführt. Am ersten Tag standen auch die 17 Nachhaltigkeitsziele im Fokus und wir haben zum Thema BNE im Allgemeinen informiert. Anschließend sollten die Schülerinnen und Schüler erste Projektideen entwickeln. Es dauerte nicht lang und eine Gruppe von fünf Mädchen hatte beschlossen, eine AG Müllsammeln zu gründen. Von diesem Engagement bin ich bis heute begeistert.
BNE nimmt in den Schulen immer mehr Gestalt an – und das soll auch so weitergehen. Welche Wünsche haben Sie für eine noch nachhaltigere Zukunft? Welche Herausforderungen bestehen aus Ihrer Sicht aktuell noch?
Ich wünsche mir, dass sich BNE noch stärker im Schulalltag wiederfindet. Zwar ist das Thema im Lehrplan verankert, dennoch bleibt es für viele Lehrerinnen und Lehrer, so mein Eindruck, aktuell noch eine (weitere) Zusatzaufgabe. Das wollen wir als Servicestelle(-netzwerk) gern ändern und unseren Beitrag leisten, BNE noch besser in die Unterrichtspraxis zu bringen. Dafür finde ich es auch wichtig, dass BNE ein Querschnittsthema in der Schule bleibt, um dem anwendungsorientierten Charakter gerecht zu werden. Eine andere Idee, die außerhalb unseres Einflussbereichs liegt, aber vielleicht überdacht werden könnte: BNE sollte Teil der schriftlichen Prüfungen werden. Das würde aus meiner Sicht ein Stück weit helfen, es noch besser im Unterricht zu verankern. Vielleicht würde es Lehrkräfte auch anregen, die vorhandenen BNE-Fortbildungen noch mehr zu nutzen.
Letztlich ist unser Ziel, dass BNE jede Bildungseinrichtung und jeden Bildungsbereich in Sachsen erreicht – und zwar Hand in Hand mit den Menschen vor Ort. Wir wollen, dass jede und jeder die Kinder- und Enkeltauglichkeit des Themas erkennt. Denn am Ende wollen doch alle, dass es ihren Kindern und Enkeln gut geht und ihnen eine lebenswerte Welt hinterlassen.