»Wir wollen unseren Schülern so viel Verantwortung wie möglich geben«

»Wir wollen unseren Schülern so viel Verantwortung wie möglich geben«

Für sich und andere Verantwortung übernehmen: Das lernen Schülerinnen und Schüler am Ehrenfried-Walther-von-Tschirnhaus-Gymnasium Dresden im fächerverbindenden Grundkurs »Verantwortung Mitwelt«. Doch das Thema spielt in vielen Bereichen des Schulalltags eine Rolle. Wie das konkret aussieht, wollten wir genauer wissen und haben die Schule besucht.

Lehrerin Melanie Nitsch im Unterricht

Wir treffen Melanie Nitsch an einem sonnigen Donnerstagmorgen in Dresden. Die 36 Jahre junge Lehrerin unterrichtet die Fächer Deutsch und Geschichte und ist Fachleiterin im Bereich Profil und politische Bildung. Heute möchte sie uns zusammen mit ihrer Kollegin Belinda Schreckenbach einen Einblick in ein besonderes Unterrichtsangebot ihres Gymnasiums geben: das Fach »Verantwortung«. »An unserer Schule wird seit nunmehr drei Jahren in dem fächerverbindenden Grundkurs ›Verantwortung Mitwelt‹ unterrichtet. Dort thematisieren wir die Verantwortung des Einzelnen sich selbst sowie der Mitwelt – also Menschen, Tieren und der Natur – gegenüber. Dabei wählen die Lernenden die Themengebiete weitgehend selbst und übernehmen in allen Teilbereichen auch selbst Verantwortung für den Lernprozess«, erzählt sie begeistert.

Auf dem Weg zum verantwortungsbewussten Grundkurs treffen wir Schulleiter Jörg Beirich. Auch er ist ein Fan des Zukunftsfaches und unterstreicht: »Das Angebot wird sehr gut von unseren Schülerinnen und Schülern angenommen.«

Angekommen im Unterrichtsraum begegnen wir 15 Gymnasiasten der 11. und 12. Klassenstufe. Vor Ort ist auch eine ehemalige Schülerin. Elisa Hantschmann war eine der ersten, die das Kursangebot besucht hat und bis heute dafür schwärmt: »Ich finde ›Verantwortung Mitwelt‹ so wichtig, weil es ein Bewusstsein für die Problematiken des Alltags schafft. Hier lernen Schülerinnen und Schüler etwas fürs Leben, es ist so nah am echten Leben und bietet einen Ausgleich, der den Schulalltag bereichert. Das bleibt hängen!« Klar, dass Elisa auch in Zukunft Verantwortung für ihre Mitwelt übernehmen will. Aktuell absolviert sie das FSJ Pädagogik. Denn die 1,0er-Abiturientin möchte Lehrerin in Sachsen werden.

Es klingelt, pünktlich 8.00 Uhr startet der Unterricht. Nach einer kurzen Vorstellung aller Anwesenden erzählen uns die Schülerinnen und Schüler, warum sie das Angebot eigentlich wahrnehmen und was ihnen daran besonders gut gefällt. »Ich habe das Fach gewählt, damit ich ein bisschen mehr in Politik und die gesellschaftlichen Aspekte der Verantwortung hineinschauen kann«, sagt Zwölftklässlerin Katharina. »Das fühlt sich gar nicht an wie Unterricht, ist sinnvoll für die Zukunft und wahnsinnig bereichernd.« Isabelle ergänzt: »Ich habe wie einige andere auch schon das gesellschaftswissenschaftliche Profil belegt und finde es toll, das weiterzuführen und über gesellschaftliche Probleme zu reden. Es ist eine schöne Abwechslung zu den restlichen Fächern.«

»Nun wollen wir unseren Kurs wie gewohnt starten«, leitet Lehrerin Belinda Schreckenbach über. Am Anfang jeder 90-minütigen Unterrichtssequenz stehen »10 Minuten Verantwortung«. In diesem Schuljahr stellen die Schülerinnen und Schüler literarische Stücke vor, die sich mit Verantwortung beschäftigen. Noa hat das Buch »Going Zero« des Neuseeländers Anthony McCarten gewählt und geht der Frage nach, wer in welcher Weise im Roman Verantwortung trägt. »Bei mir haben die 10 Minuten übrigens bewirkt, dass ich seit 2021 ein Jobticket nutze und auf das Auto verzichte«, ergänzt Belinda Schreckenbach und ist sichtlich stolz auf die Wirkung des schulischen Angebots.

Doch das ist längst nicht alles. »Besonders beeindruckend war die Projektarbeit von drei Mädchen aus meinem Kurs«, berichtet Melanie Nitsch. »Eine von ihnen lebte eine Woche lang ausschließlich vegan, die andere ohne Plastik und die dritte nur regional. Am Ende haben die Schülerinnen ein Menü aus den drei Komponenten – vegan, plastikfrei und regional – gekocht. Das Erlebte haben sie in einer 30-minütigen Dokumentation festgehalten.«

Im Grundkurs haben die Schülerinnen und Schüler darüber hinaus in den vergangenen drei Jahren verschiedene Workshops selbst geplant und umgesetzt: Backen, Massage, Meditation, Yoga. Maßgebend waren dabei die Fragen: Welche Wirkung entsteht? Was können wir für uns selbst Gutes tun? Zu Beginn der zwölften Klasse beschäftigen sich die Kursteilnehmer außerdem mit der Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Die Themen wählen sie selbst aus, diskutieren darüber und suchen gemeinsam nach Lösungen. Für uns gibt es einen Einblick in das Praxisbeispiel Lebensmittellügen. Die Schülerinnen und Schüler haben sich dabei über mehrere Wochen kritisch mit der Zusammensetzung von verschiedenen Lebensmitteln aus dem Supermarkt beschäftigt. Am Ende war ihr Ziel: Wir wollen selbst ein ehrliches Lebensmittel herstellen.

Verantwortung steckt am Tschirnhaus-Gymnasium aber nicht nur im fächerverbindenden Unterricht der elften und zwölften Klassen. Es gibt sie auch im Profil der 8., 9. und 10. Klassen, genauer im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, kurz Gewi-Profil. In Klasse 10 absolvieren die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel ein 10-stündiges Sozialpraktikum. Zusätzlich wird an der Schule eine AG zum Thema angeboten.

Das unglaubliche Engagement und Herzblut aller ist beeindruckend.

Am Ende der Stunde stehen zwei Fragen an die angehenden Abiturienten: »Was willst du für dich in den zwei Jahren Verantwortung Mitwelt mitnehmen?« und »Was hast du für deine Zukunft aus dem Kurs mitgenommen?«. Die Antworten zeigen nicht nur das Verantwortungsbewusstsein der Schüler – sie zeigen vor allem, dass hier zwei engagierte Lehrerinnen einen richtig guten Job machen.

»Man geht hin und freut sich.«

»Ich habe die Hoffnung mitgenommen, wie sich Schule in Zukunft entwickeln kann.«

»Von unseren Lehrerinnen kommt das methodische Gerüst und Werkzeug – wir füllen es mit Leben.«

»Der Kurs ist eine schöne Mischung aus Theorie und Praxis.«

»Ich finde es wichtig, dass wir im Kurs oft ins Gespräch kommen. Das hilft auch über den Schulalltag hinaus, den Einfluss für das Außerkursleben finde ich wichtig.«

»Hier nehme ich wirklich etwas mit!«

»Verantwortung sollte auch in andere Bereiche, wie das sportliche, künstlerische und naturwissenschaftliche Profil ausstrahlen, damit sie sich gegenseitig befruchten können.«

»Fest steht, unser Unterricht lebt von den Ideen der Schülerinnen und Schüler. Wir wollen ihnen so viel Verantwortung wie möglich geben«, resümiert Melanie Nitsch. »Wichtig ist dafür auch, dass man als Schule die Freiheit hat, eigene Dinge zu entwickeln und umzusetzen – und auch scheitern zu dürfen.«

»Ich bin immer wieder zutiefst beeindruckt von dem Kurs und welche Ideen jedes Mal entstehen«, schließt Melanie Nitsch den Unterricht – und wir sind es auch.

Noch mehr Verantwortung?

Das Ehrenfried-Walther-von-Tschirnhaus-Gymnasium erhielt 2022 für sein beispielhaftes Projekt den Sonderpreis der Heraeus-Bildungsstiftung »Persönlichkeit macht Schule«.

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

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