Experten beraten Schule der Zukunft

Experten beraten Schule der Zukunft

Freudige Aufbruchstimmung herrschte am Freitagnachmittag im Internationalen Congress Center in Dresden. Nicht, weil alle dringend nach Hause wollten nach dem langen, intensiven Tag. Sondern weil 84 Expertinnen und Experten, die das sächsische Staatsministerium für Kultus dort zur Auftaktveranstaltung von »Bildungsland Sachsen 2030« versammelt hatte, die Herausforderung angenommen hatten, in den nächsten Wochen und Monaten die Schule der Zukunft zu visionieren.

»Wir sehen jetzt klarer«, bilanziert eine Teilnehmerin in der Schlussrunde positiv die konstituierende Sitzung ihres Expertenrates. »Es ist absehbar, wo es hingehen soll. Ein Anfang ist gemacht.«

Lernen, Steuerung, Professionalisierung, Infrastruktur

Vier zentrale Handlungsfelder hat das SMK im Vorfeld für die Schule der Zukunft identifiziert: Lernen ist und bleibt natürlich das wichtigste Thema im Bereich Schule. Aber auch Steuerung im Sinne der Zusammenarbeit der verschiedenen, an der Bildung der Kinder beteiligten Akteure ist ein wichtiges Themengebiet, über das es nachzudenken gilt. Die Professionalisierung etwa bei der Zusammenarbeit von multiprofessionellen Teams und angesichts des Lehrkräftemangels wird genauso wie die zukünftige Infrastruktur mit den nicht ganz simplen Fragen, wo Kinder in Zukunft überhaupt lernen und welche Rolle dabei die Digitalisierung spielt, jeweils in einem eigenen Expertenrat diskutiert.

»Klar haben wir nach wie vor ein Thema, junge Menschen davon zu überzeugen, Lehrerin oder Lehrer zu werden«, sagte Kultusminister Christian Piwarz im Rahmen seiner Eröffnungsrede mit Blick auf den Lehrermangel. Diese Herausforderung bestehe weiterhin. „Aber wir wollen weg davon, ausschließlich defizitorientiert zu diskutieren!« Sein Ziel ist, nach der öffentlichen Beratung – zunächst in den Expertenräten, später in regionalen Bildungsforen – ab 2024 schnell ins Handeln zu kommen. »Wir reden hier davon, die Maßnahmen bis 2030 umgesetzt zu haben, nicht erst 2030 anzufangen«, so Piwarz weiter. Und er machte seine Motivation für den Prozess, der bundesweit aufmerksam beobachtet wird, deutlich: Zwar erhalte das sächsische Bildungssystem bei Vergleichsstudien und Untersuchungen regelmäßig ausgesprochen Bestnoten. »Aber sich jetzt zurücklehnen und auf den guten Ergebnissen auszuruhen, das wäre schon der erste Rückschritt«, so Piwarz.

Der Bildungsforscher Kai Maaz vom DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation nannte in seinem Impulsvortrag sechs große Herausforderungen zum Thema Bildung. Maaz ist einer der Autoren des 2019 erschienenen Berichts »Bildung in Sachsen«, der sicherlich als eine der Initialzündungen für den Bildungsland-Prozess betrachtet werden kann. Für Maaz gilt es, möglichst bald und effektiv soziale Bildungsungleichheiten zu minimieren, Schülerinnen und Schüler mit geringen Kompetenzen zu fördern, Lösungen für den Umgang mit Heterogenität im System auf allen Ebenen zu finden, die Bildung in der digitalen Welt zu ermöglichen, die Personalsituation zu klären und die koordinierte Steuerung als gemeinsame Aufgabe zu verstehen. »Ich halte es für sehr wichtig, große Zeithorizonte aufzumachen, sagte er mit Blick auf das Projekt »Bildungsland Sachsen 2030«. Das bedeute, so Maaz, aus den Visionen für die Zukunft Ziele und Strategien und anschließend konkrete Maßnahmen zu entwickeln, die mit der Umsetzung dann auch kontinuierlich evaluiert werden. »2030 scheint vielleicht noch eine Weile hin – aber wenn man in Veränderungsprozessen denkt, ist das nicht mehr so lang«, gab er den Expertinnen und Experten mit auf den Weg.

Welche Kompetenzen brauchen Schülerinnen und Schüler in einer sich wandelnden Welt?

Die vier Expertenräte haben in den kommenden Monaten ein ziemliches Arbeitspaket vor sich: Sie sind mit einer unterschiedlichen Zahl von Fragestellungen und Thesen konfrontiert, die eine eigens im Kultusministerium gebildete Projektgruppe im Vorfeld mit Schulleiterinnen und Schulleitern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und dem Landesbildungsrat erarbeitet hat. »Wie kann insbesondere der Umgang mit einer zunehmend heterogenen Schülerschaft gelingen?« und »Wie können digitale Entwicklungen genutzt werden, um die Schulqualität und das Bildungsniveau in Gänze zu verbessern?«, lauten etwa zwei der Fragen im Handlungsfeld Lernen.

Alle Fragestellungen und Thesen finden Sie hier: bildungsland2030.sachsen.de.

Für den Austausch der Expertinnen und Experten zwischen den Sitzungen hat das SMK eigens eine interne, digitale Plattform eingerichtet, auf der sie Material sammeln und die Handlungsempfehlungen konkret diskutieren können. Bis zu den Sommerferien werden sich die Expertenräte mindestens drei Mal treffen und beraten. Bei einer Abschlussveranstaltung am 28. Juni 2023 wird dann mit den Ergebnissen eine zweite Runde der öffentlichen Beratung in Form von fünf regionalen Bildungsforen gestartet. »Ich spüre ein wenig Stress, weil wir in zwei Monaten die gesamte Bildungslandschaft durchpflügen dürfen – aber das bekommen wir schon hin«, fasste ein Teilnehmer am Ende der Veranstaltung die Herausforderung zusammen.

Regionale Bildungsforen übernehmen im Sommer

Die regionalen Bildungsforen übernehmen dann den Auftrag, den »Praxischeck« durchzuführen, wie Piwarz es beschreibt. Sie bestehen jeweils aus insgesamt 40 Personen: je fünf Schülerinnen und Schüler, die möglichst unterschiedliche Schularten besuchen, fünf Lehrkräfte, fünf Eltern von schulpflichtigen Kindern, fünf Mitglieder von Schulleitungen von öffentlichen und privaten Schulen und 20 weiteren Personen aus der jeweiligen Region, die sich für die Zukunft von Sachsens Schulen interessieren und mitdiskutieren möchten. Ab 10. Mai können sich interessierte Personen hierfür bewerben; bei einer größeren Zahl von Bewerbungen als Plätze entscheidet das Los.

Hier finden Sie mehr Informationen zu den Bildungsforen und ab 10. Mai den Link zur Anmeldung.

Die Bildungsforen tagen dann insgesamt vier Mal, um die von den Expertenräten formulierten Handlungsempfehlungen zu kommentieren und schließlich Ende des Jahres an das Kultusministerium zu übergeben. Das muss sich dann kümmern, was davon wie umsetzbar ist.

»Kontinuierlicher, evolutionärer Prozess«

Kultusminister Christian Piwarz wünscht sich für das Projekt Bildungsland Sachsen einen Prozess frei von Denkverboten. So werden auch Fragestellungen, wie eine sinnvolle Form der Benotung in Zukunft aussieht oder welche Bedeutung von Hausaufgaben in Zeiten der künstlichen Intelligenz noch haben, sicherlich Thema in den Beratungen sein. Piwarz geht es dabei auch darum, die in den Expertenräten und den regionalen Bildungsforen erarbeiteten Maßnahmen im Anschluss auch wirklich realisieren zu können. Dafür wird es im Anschluss eines politischen Prozesses bedürfen, wenn etwa Finanzierungen oder sogar Gesetzesanpassungen nötig sein sollten. »Sie können sich sicherlich vorstellen, ich bin kein Freund von Revolutionen«, sagt Piwarz. »Aber den kontinuierlichen, evolutionären Prozess anzustoßen, das sind wir den jungen Menschen schuldig.«

Hier finden Sie alle Informationen zum Projekt: https://www.bildungsland2030.sachsen.de.

Text: Peter Stawowy

Foto: Ralf Menzel

Dirk Reelfs, Pressesprecher im Sächsischen Staatsministerium für Kultus

3 Kommentare

  1. Praxis 1 Jahr vor

    „Aber wir wollen weg davon, ausschließlich defizitorientiert zu diskutieren!“ – Die Lage in Sachsen und deutschlandweit ist jedoch so schlimm und gern würde ich an die Umsetzung einer modernen Bildungslandschaft glauben. Aber es wurde schon viel versprochen. Ein Technikbeauftragter (externer), eine Klassenleiterstunde und eine Anrechnung der umfangreichen Klassenleitertätigkeit würden mir für den Anfang schon genügen.

  2. Fragensteller 1 Jahr vor

    Ernstgemeinte Frage: Sind das die gleichen Experten, die vermutlich nie eine einzige Stunde unterrichtet haben (in Schulen, nicht an Unis!!), aber auch empfohlen haben
    – Teilzeit möglichst zu verwehren
    – Sabbatjahre u.a. möglichst einzudampfen / zu erschweren
    – die Wochenstundenzahl um eine zu erhöhen
    und als Ausgleich „ein paar Achtsamkeits- und Atemübungen“ zu machen?

    Ich hoffe, dass die o.g. Experten mehr drauf haben, als den Beruf unattraktiver zu machen. In meinem Umfeld überlegen mehrere Lehrkräfte, den Beruf komplett zu wechseln oder auszuwandern. Zudem hat die GEW ja veröffentlicht, dass die Zahl der Krankschreibungen schon vor diesen „Ideen“ massiv angestiegen sind. Insofern mein Tipp: Entlastung statt noch mehr Belastung.
    Vor allem bringt es nichts, pauschal alle mehr arbeiten zu lassen. Was bringen mir hunderte GRW-Lehrer mit 1h/Wo mehr, wenn ich aber Physik, Chemie, Mathe, Info brauche? Das is nix, wo ich einfach mal so fachfremd reingehen kann als GRWler. Bei Ethik, Geo, GRW, TC oder Geschichte mag das gehen, aber nicht bei den „harten“ Naturwissenschaften.

    Ich hoffe, dass da wirklich etwas brauchbares für das „System“ Schule herauskommt. Ohne weitere BElastungen der Lehrkräfte.
    MfG