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Soziale Netzwerke sind mehr als der #Shitstorm – das Gegeninterview mit Blogger Martin Fuchs

»Typisch für das Netz: Der #Shitstorm. Leg mich wieder hin.«, so die Reaktion über »twitter« von Blogger und Politikberater Martin Fuchs auf unser Interview mit Politikwissenschaftler Prof. Dr. Kliche. Warum er das so sieht, wollten wir aber genauer wissen und haben deshalb auch ihn gefragt, wie er social media im Spannungsfeld Politik und Medien wahrnimmt und welche Rolle die Schule dabei spielen sollte.

 Uns fällt Ihr moderater Ton in der social media Kommunikation auf. Ist das die bewusste Antwort auf das mediale Geschrei im Netz?
Ist das so? Manchmal ärgere ich mich selber über meine Postings und Tweets, die ich abgesetzt habe, weil ich weiß wie verletzend hämische und persönliche Angriffe sein können. Und ja, ich achte schon sehr darauf wie ich etwas ausdrücke und wie man Kritik galant verpacken kann. Also nicht anders als im analogen Alltag. Viele Nutzer müssen aber noch lernen, dass sich Online und Offline-Räume nicht unterscheiden und der Knigge eben auch für Tweets, Kommentarspalten und Amazonbewertungen gilt.

»Journalisten wollen ihren eigenen Bedeutungsverlust nicht wahrhaben….«

Der SPIEGEL wirft Regierungssprecher Steffen Seibert vor, er baue die Facebook-Seite des Bundespresseamtes zum Staatsfernsehen aus. Hat der SPIEGEL Recht oder muss eine Regierung in Zeiten des grassierenden Bedeutungsverlustes der Printmedien nicht über neue Kommunikationskanäle nachdenken?
Ich glaube an dieser Stelle liegt der SPIEGEL ausnahmsweise einmal falsch. Früher wurden die Informationen der Bundesregierung für Litfaßsäulen aufbereitet, dann wurden Radio- und Kinospots produziert, heute gehört Social Media zum Standard-Kommunikationsmix auch von Regierungen. Das Informationen für soziale Netzwerke audiovisuell gelungen und professionell aufbereitet werden, sollte man der Regierung nicht vorwerfen, sondern sie eher für Ihre erfolgreichen Aktivitäten loben. Ich habe kein Problem damit, dass das Bundespresseamt seinen eigenen Kanal nutzt, um auch exklusive Einblicke zu geben, jeder – auch Facebook-Nichtnutzer- hat die Möglichkeit diese öffentlich zu sehen. Da wird also nichts vorenthalten. Ich habe manchmal eher das Gefühl, dass Journalisten ihren eigenen Bedeutungsverlust nicht wahrhaben wollen und deshalb kritisch berichten. Gerade die, die es nicht schaffen exklusive Zugänge zur Bundesregierung zu bekommen.

Die 4. Gewalt verliert an Relevanz. Im Netz hat sich das Medienpublikum quasi als 5. Gewalt dazu geschaltet und befeuert die mediale Hysterie mit Stimmungen, Einflüsterungen und Gerüchten. Wie können die Eigenschaften der professionellen Medienlandschaft wie Recherche, Einordnung, Orientierung da noch sichergestellt werden?
Ich bin fest davon überzeugt, dass die klassischen Medien im Bezug auf Ihre Funktion als 4. Gewalt nicht an Relevanz verlieren werden. Zum einen informieren sich viele Bürger via Social Media auf den Profilen klassischer Medien, zum anderen wird es immer einen Bedarf nach qualitativ hochwertiger Bewertung, Einordnung und Kommentierung durch Medien geben. Wichtig ist, dass Medien ihr klassischen Handwerk nicht vernachlässigen. Heißt: Recherche, gerne auch investigative Recherche, Verifizierung, 2-Quellen-Prinzip etc… und eben nicht jedem Hype hinterherrennen. Den Wettlauf werden sie nicht gewinnen, da eben z.B. das Foto von einem Anschlag immer eher auf Twitter ist, bevor es bei Spiegel Online als Eilmeldung auftauchen kann. Die Nutzer werden lernen und merken, dass man nicht jeder Informationen trauen darf, nur weil sie viral durch Netz geht. Und dafür braucht es seriösen Journalismus ohne Hype.

»Sorgen macht mir dabei eine immer stärker werdende »Gegenöffentlichkeit«[…] Hier entsteht ein Graben, der die Gesellschaft auseinandertreibt.«

Sind soziale Netzwerke aus Ihrer Sicht überhaupt eine 5. Gewalt? Wo sehen Sie die Stärken von sozialen Netzwerken? Und Schwächen?
Nein, der Vergleich hinkt. Soziale Netzwerke sind per se erst einmal eine Technologie und eine Plattform für Kommunikation und Information. 5. Gewalt könnten gegebenenfalls einzelne Akteure werden, die soziale Medien perfekt für sich nutzen. z.B. Blogger, Aktivisten und NGOs. Das ist ja teilweise schon so, wenn ich mir z.B. anschaue, wer neben den Medien Skandale aufdeckt. Da sind auch immer öfter Nicht-Journalisten dabei, die ein Thema öffentlich machen mit einem Blog-Beitrag oder einer Petition. Wichtig ist aber auch für diese Akteure, dass sie sich langfristig Vertrauen und Reputation aufbauen müssen und das geht nur über qualitativ gutes Handwerk. Soziale Netzwerke können dann für die Verbreitung und Vernetzung der Informationen sehr gut genutzt werden. Sorgen macht mir dabei eine immer stärker werdende »Gegenöffentlichkeit«, also mediale Onlineangebote die den Staat, die Gesellschaft und unser Wertesystem grundlegend in Frage stellen. Hier entsteht ein Graben, der die Gesellschaft auseinandertreibt. Ich habe das Gefühl, dass diese Angebote immer mehr Zulauf bekommen, eben weil die Bürger den klassischen Medien nicht mehr vertrauen. Und hier müssen klassische Medien ansetzen.

Welche Rolle spielen Kanäle wie Twitter, Facebook oder Blog von Politikern oder Regierungen?
Eine sehr große. Und das sage ich nicht, weil ich als Digitalberater Parteien und Regierungen berate, sondern weil ich die Veränderung des Informations- und Kommunikationsverhalten der Bevölkerung beobachte. Das verschiebt sich seit Jahren massiv in Richtung Online, nicht nur in jungen Zielgruppen. Wenn Politiker und Regierungen ihre Bürger also noch erreichen wollen und den Kontakt nicht verlieren wollen, müssen sie Online-Angebote nutzen. Ich bin der letzte der verlangt, dass jeder Politiker Facebook oder Snapchat nutzen soll. Entscheidend ist die Frage, wen will ich erreichen und dann den richtigen Kanal zu wählen. Und das nicht nur im Wahlkampf oder zu Kampagnen, sondern kontinuierlich. Zudem ermöglichen soziale Netzwerke Reichweiten, die andere Kommunikationskanäle nie und nicht so kostengünstig und effizient bieten. Politiker müssen aber Lust auf Kommunikation haben, das ist die Grundbedingung für die Nutzung.

»Lehrer können kein Volontariat ersetzen […] Eigene (manchmal auch schmerzhafte) Erfahrungen machen ist m.E. auch hier der richtige Weg.«

Müssen Lehrer ihren Schülern das Handwerk vermitteln, was bislang professionelle Journalisten geleistet haben?
Der Ruf nach der Schule wird ja immer schnell laut, wenn die Gesellschaft im Wandel oder überfordert ist. Selbstverständlich müssen Lehrer wissen was da im Netz abgeht, wie ihre Schüler das Netz nutzen und sollten ganz selbstverständlich Tools und Technologien auch im Unterricht einsetzen. Wichtiger ist aber, dass Lehrer Werte und nicht nur Wissen vermitteln. Das finde ich viel wichtiger. Lehrer können kein Volontariat ersetzen, aber Grundlagen in Verifizierung von Informationen und Einordnung fände ich nicht falsch. Allerdings nehme ich fast an, das lernen Schüler besser beim learning by doing als in Klassenräumen. Eigene (manchmal auch schmerzhafte) Erfahrungen machen ist m.E. auch hier der richtige Weg.

 Was sind die wichtigsten Dinge, die junge Leute im Umgang mit dem Netz lernen sollten? Kann das Schule überhaupt leisten?
Wenn ich mich mit Kindern und Jugendlichen unterhalte, habe ich oft den Eindruck, dass die sehr genau wissen, wem sie im Netz vertrauen können und wem nicht. Woher Informationen kommen und wie man diese bewertet. Die aktuelle Schülergeneration ist mit und im Netz aufgewachsen, die sind oftmals fitter als die eigenen Lehrer und Eltern. Entscheidend ist, dass gesellschaftliche Werte vermittelt werden, diese auch im Netz Anwendung finden und dass fehlerhaftes Verhalten klare Sanktionen nach sich ziehen kann. Das Netz ist kein rechtsfreier Raum und das müssen Schüler merken, bei manchen reicht einmal, manch anderer braucht mehr Erfahrungen. Also alles wie im realen Leben.

Das Gespräch führten Dirk Reelfs und Manja Kelch.

Martin Fuchs

Martin Fuchs

…berät Regierungen, Parteien und Politiker in digitaler Kommunikation. Zuvor war er Politik- und Strategieberater in Brüssel und Berlin. Seit 2008 ist er Lehrbeauftragter für Public Affairs an der Universität Passau und Dozent für Social Media und Politik an weiteren Hochschulen. Zudem ist er Gründer der Social-Media-Analyse-Plattform Pluragraph.de und bloggt über Social Media in der Politik. Er ist Kolumnist des Fachmagazins »politik & kommunikation« und wird als Experte zum Thema Social Media und Politik oft in den Medien zitiert. Mehr Infos auf seiner Homepage.


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