Zuversicht statt Zukunftsängste

Zuversicht statt Zukunftsängste

Schülerinnen und Schüler müssen sich täglich mit einer Flut an negativen Nachrichten auseinandersetzen. Das geht nicht spurlos an ihnen vorbei – und kann sogar eine Gefahr für unsere Gemeinschaft sein. KLASSE zeigt, wie sächsische Schulen und Initiativen deshalb Wege entwickeln, um Kinder und Jugendliche zu stärken und gleichzeitig ihre Medienkompetenz zu fördern.

Kriege, Krisen, Katastrophen – die Flut an negativen Nachrichten machen Vanessa, Schülerin der 6. Klasse an der Oberschule Elstra, Angst: »Wenn ich auf Instagram oder TikTok zum Beispiel Bilder von der zerstörten Ukraine sehe, fühle ich mich hilflos.« Vanessa ist kein Einzelfall: So wie ihr geht es zahlreichen Kindern und Jugendlichen in Sachsen. »Ich nehme wahr, dass sich viele Schülerinnen und Schüler überfordert und wehrlos fühlen. Sie haben den Eindruck, in einer Dauerkrisenzeit zu leben, in der sie selbst nichts dagegen tun können und auch nichts für sie getan wird. Ihr Gefühl der Hilflosigkeit wird verstärkt durch die vielen News, die via Social Media täglich auf sie einprasseln«, sagt Amy Kirchhoff, Vorsitzende des Landesschülerrates Sachsen. Neurowissenschaftlerin Maren Urner bestätigt diese Wahrnehmung – und sieht durch die Überpräsenz der sozialen Medien noch weitere Folgen für die junge Generation: »Zunächst ist da die Dauerverfügbarkeit. Durch das Internet und das Smartphone entsteht ein ständiger Druck, verbunden mit Fragen wie: Was könnte ich gerade verpassen? Wann reagieren Freundinnen und Freunde auf meinen Post, meine Story, mein Video? Studienergebnisse zeigen, dass bereits die Anwesenheit eines Smartphones dafür sorgt, dass es einen Teil der Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Dadurch fällt es gerade jungen Menschen – bei denen bestimmte Hirnbereiche noch nicht vollständig ausgebildet sind – schwer, sich auf eine Sache wirklich zu konzentrieren.« Gleichzeitig bestünde ein nachgewiesener Zusammenhang zwischen langen Nutzungszeiten sozialer Medien auf der einen Seite und von Gefühlen von Einsamkeit und psychischen Krankheiten wie Depressionen auf der anderen Seite. »Hinzu kommt, dass die Negativität das Verhalten des sogenannten ›Doomscrolling‹ begünstigen kann. Gemeint ist damit ein suchtartiges Konsumieren von negativen Nachrichten, was wiederum zu einem zu negativen Weltbild und Hilflosigkeit in dieser entscheidenden Lebensphase führen kann«, erklärt Maren Urner.

Mit guten Nachrichten die Resilienz stärken

Jana Schwan, Schulleiterin der Oberschule Elstra, will Entwicklungen wie diese nicht ignorieren. Gemeinsam mit ihrem Kollegium hat sie im vergangenen Schuljahr die »Zukunftswerkstatt« eingeführt. Jeden Freitag arbeiten die Kinder an selbst gewählten Projekten – sie können sich je nach Interesse für Mitmenschen, die Umwelt, Tiere oder Pflanzen engagieren. »Wir wollen nicht einfach nur darüber reden, wie wir die nachhaltige Entwicklung vorantreiben können, sondern wirklich ins Machen kommen«, sagt Jana Schwan. Um die Resilienz – die Widerstandsfähigkeit – der Kinder angesichts der Dominanz schlechter Nachrichten zu stärken, beginnt die Zukunftswerkstatt immer mit »Good News«. Maximilian Richter, Fachlehrer für Deutsch, Geografie und Sport sowie Lernbegleiter der Zukunftswerkstatt, stellt den Kindern gute Nachrichten vor, berichtet zum Beispiel über neue Schutzgebiete in der Arktis und erklärt, dass es in Deutschland immer weniger Müll gibt. »Danach kommen wir selbst ins Tun und schaffen Good News in Elstra, indem wir gemeinsam mit den Kindern etwas Gutes unmittelbar hier vor Ort tun«, ergänzt die Schulleiterin. Mit Magnetangeln haben die Kinder bereits Metallschrott aus den Gewässern der Umgebung geangelt, sie haben Insektenhotels, Eichhörnchenkobel, Ingelunterschlupfe und Vogelhäuser gebaut, Wildblumenwiesen gesät, Apfelbäume gepflanzt, im Hospiz gesungen, einen Parcours für den Kindergarten gebaut, den Schulhof verschönert und Geld für gute Zwecke gesammelt. Vanessa ist begeistert von der Zukunftswerkstatt: »Ich interessiere mich sehr für Tiere und freue mich, dass ich mich hier für sie engagieren kann.« Ihr Klassenkamerad Eric ist in der Arbeitsgruppe »Umwelt«. Gemeinsam mit den anderen Kindern der Gruppe hat er Zigarettenstummel auf dem Schulhof eingesammelt und Schilder gebastelt, die darauf hinweisen, dass das Rauchen auf dem Schulgelände verboten ist. »Ich finde unsere Arbeit in der Zukunftswerkstatt toll, weil ich weiß, dass es der Natur jetzt besser geht.«

Für Amy Kirchhoff vom Landesschülerrat sind Konzepte wie diese ein konstruktiver Ansatz: »Negative Nachrichten werden in den Medien präsenter und verstärkt ausgespielt. Es ist sinnvoll, über positive Nachrichten zu sprechen und damit einen Gegenpol zu setzen.« Besonders wirksam ist es aber aus ihrer Sicht, wenn Schule ein Ort ist, an dem Kinder und Jugendliche aktiv mitgestalten können – wie in der Oberschule Elstra. Statt des lähmenden Gefühls der Hilflosigkeit erfahren die Schülerinnen und Schüler so Selbstwirksamkeit. Amy Kirchhoff fordert deshalb, dass die Schulen im Freistaat den Schülerinnen und Schülern vertrauen und ihnen mehr Möglichkeiten geben, sich zu beteiligen. Sie appelliert auch an ihre Generation selbst: »Wenn euch ein Thema wichtig ist, setzt euch dafür ein und lasst euch nicht beim ersten Nein abwimmeln. Nervt auch einfach, bis euer Anliegen durchgesetzt ist.«

Überforderung, Misstrauen und Skepsis nehmen zu

Mehr Partizipation, mehr demokratische Beteiligung – damit setzt Amy Kirchhoff an einem Punkt an, dem auch weitere Expertinnen und Experten eine enorme Bedeutung beimessen. Denn abgesehen von den möglichen ernstzunehmenden Folgen für die oder den Einzelnen, birgt das Mediennutzungsverhalten der jungen Generation im Zusammenspiel mit den aktuellen Entwicklungen in der Medienlandschaft eine Gefahr für unsere Gemeinschaft. Aline Mörrath von der sächsischen Initiative »spreuXweizen«, die Jugendliche in ihrer Nachrichtenkompetenz stärken will, beobachtet neben der Überforderung auch eine Tendenz zur »News Avoidance« – eine bewusste Abkehr von Nachrichten. »Wir versuchen in Workshops den jungen Menschen zu zeigen, warum es trotzdem wichtig ist, sich zu informieren. Denn sie sind selbst Entscheidungsträger und können unsere Gesellschaft und unsere Politik mitgestalten«, sagt sie. Das sei nicht immer einfach: Vor allem im ländlichen Raum nehmen Aline Mörrath und ihr Team mitunter Skepsis und Misstrauen gegenüber dem klassischen Journalismus wahr. »Nicht nur aufseiten der Jugendlichen, sondern auch aufseiten der Erwachsenen«, so Aline Mörrath.

spreuXweizen arbeitet mit #UseTheNews zusammen. #usethenews ist eine Initiative der Deutschen Presse-Agentur (dpa), einer Genossenschaft der deutschen Informationsmedien, an der alle öffentlichen und privaten Zeitungsverlage, Radio- und Fernsehsender beteiligt sind. Die Initiative versteht sich als Allianz für Nachrichtenkompetenz im digitalen Zeitalter. »Ursprünglich war unser Hauptziel, die nächste Generation nicht als Nutzerin der Informationsmedien zu verlieren. Wir haben dann aber sehr schnell festgestellt, dass unser Projekt viel stärker ein Bildungs- und Demokratieförderungsprojekt ist«, erklärt Meinolf Ellers, Geschäftsführer von UseTheNews. Grund dafür sei folgende Wirkungskette: »Nachrichtenkompetenz und Nachrichtennutzung sind Voraussetzung für Informiertheit. Informiertheit und faktenbasierte Meinungsbildung sind wiederum die Grundlage für demokratischen Diskurs und demokratische Handlungsfähigkeit. Mit anderen Worten: Man kann kein mündiger demokratischer Bürger werden, wenn man nicht den Zugang zu gesicherter nachrichtenbasierter Information hat.«

Das Problem: Die Hälfte der Jugendlichen und jungen Erwachsenen hält es nicht für wichtig, sich über Neuigkeitenund aktuelle Ereignisse zu informieren. Das zeigt eine von UseTheNews beauftragte Studie des Leibniz-Instituts für Medienforschung. Meinolf Ellers bleibt der Schlüsselsatz einer 16-jährigen Schülerin besonders in Erinnerung: »Ich weiß ja gar nicht, warum Nachrichten wichtig für mein Leben sind.« Diese Entfremdung nehme in einem enormen Tempo weiter zu. »Wir beobachten, dass die massive, intensive Nutzung vor allem von TikTok dazu führt, dass Jugendliche immer weiter entfernt sind von jedem Verständnis und jedem Zugang von dem, was Nachrichten und Informationen eigentlich im Sinne eines aufklärerischen Prozesses erreichen sollen«, so Meinolf Ellers. Unter anderem mit Bildungsangeboten, Unterrichtsmaterialien und Fortbildungen für Lehrkräfte will UseTheNews diesen »gravierenden Erosionsprozessen« begegnen.

Statt zu versuchen, die Schülerinnen und Schüler mit gedruckten Zeitungen zu erreichen, möchte das Projekt maximal wirksam sein, direkt bei den Jugendlichen sein, sie dort ansprechen sowie von ihnen und mit ihnen lernen. Dafür ist UseTheNews auch auf TikTok aktiv. »Wir wissen, wir befinden uns in einem kritischen und zum Teil auch zweifelhaften Umfeld, aber wir können diesen Bereich der digitalen Medien doch nicht den Manipulatoren und Propagandisten dieser Welt überlassen«, erklärt Meinolf Ellers.

Viele Akteure sind gefragt

Angebote wie die von spreuXweizen und UseTheNews entlasten Schulen und helfen ihnen, die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler in Zeiten von Fake News und Nachrichtenflut zu stärken. »Den Lehrkräften mangelt es meist an zeitlichen Ressourcen, oder sie haben Berührungsängste«, so Aline Mörrath. Meinolf Ellers wünscht sich, dass noch mehr Schulen in Sachsen die Angebote nutzen – und hofft außerdem auf mehr starke Partnerschaften. Denn Schule allein könne die aktuellen Herausforderungen nicht meistern. Aus Sicht von Neurowissenschaftlerin Maren Urner braucht es viele Akteure, um Schülerinnen und Schüler für Nachrichtenmedien zu begeistern. »Die klassischen Medien müssen Inhalte und Formate anbieten, die junge Menschen erreichen und berühren. Dabei ist in der Vergangenheit viel falsch gelaufen, weil beispielsweise für die jungen Leute von ›alten‹ Leuten produziert wurde – das Jugendwort ›cringe‹ trifft auf viele der so entstandenen Ergebnisse zu«, erklärt sie. Auch die Elternhäuser sieht Maren Urner in der Verantwortung. Klassische journalistische Medien sollten als »normal« in den Alltag integriert sein. Das müsse nicht immer die Tagesschau sein, aber insgesamt seien gemeinsame Routinen wichtig. Meinolf Ellers bringt es auf den Punkt: »Alles, was wir tun, geht nur gemeinsam mit den Jugendlichen. Nicht über sie, nicht neben ihnen, nicht gegen sie. Der zentrale Schlüssel ist Partizipation, Einbindung, Beteiligung.«

Notes

  • 52 % der befragten* 14- bis 17-Jährigen mit niedriger formaler Bildung haben ein geringes Nachrichteninteresse. Sie nutzen keine journalistischen Quellen, nicht journalistische Angebote nur gering. Unter den Jugendlichen mit hoher formaler Bildung zählt lediglich ein Viertel zu den gering Informationsorientierten.
  • Ab 12 Jahren nutzen alle Kinder regelmäßig ein Smartphone.**
  • 111 Minuten verbringen Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren im Schnitt pro Tag im Internet.**
  • 60 % der Kinder und Jugendlichen begegnen auf TikTok Inhalten, die bei ihnen Unwohlsein verursachen. Ebenso viele Kinder und Jugendliche wünschen sich, diese Inhalte stärker in der Schule zu behandeln.***
  • 70 % der befragten Kinder und Jugendlichen im Alter von 10 bis 16 Jahren nutzen TikTok täglich.***
  • 7 von 10 Kindern und Jugendlichen dürfen digitale Medien ohne Limit nutzen.**

* #UseTheNews; Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut; 2021

** Bitkom Research 2022

*** Challenge Accepted; Landesanstalt für Medien NRW, 2024

Weitere spannende Beiträge lesen Sie in der aktuellen Ausgabe unserer KLASSE.

 

Text: Antje Tiefenthal

Fotos: Matthias Rietschel

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

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