Helfen statt Hass
Raushalten? Für Lehrerin Anne Petkovic keine Option. Sie sieht sich als Unterstützerin ihrer Schülerinnen und Schüler – und zeigt ihnen, wie sie selbst aktiv gegen Gewalt im Netz vorgehen können. Dafür werden Jugendliche am Oberland-Gymnasium Seifhennersdorf als Peers ausgebildet und unterstützen so Gleichaltrige beim Umgang mit Cybermobbing und Hatespeech.
Anne Petkovic ist überzeugt: »Lehrerin zu sein – das ist ein schöner und abwechslungsreicher Beruf. Das Auseinandersetzen mit den Kids hält sicherlich auch jung.« Die junge Frau unterrichtet die Fächer Mathematik und Kunst. Nach ihrem Studienabschluss 2014 arbeitete sie erst einmal im Bühnen-, Messe- und Kulissenbau, eignete sich dabei zahlreiche handwerkliche Fähigkeiten an. 2016 entschied sie sich dann für das Referendariat. Von dieser Zeit und den guten Mentorinnen und Mentoren schwärmt Anne Petkovic noch heute. Ein Jahr später startete sie als Lehrerin am Oberland-Gymnasium Seifhennersdorf in der Oberlausitz – mit ihrem Mann lebt sie ganz in der Nähe.
»Verbieten ist keine Lösung«
Im Alltag spürt die Lehrerin, dass es vielen jungen Menschen nicht bewusst ist, wie stark sie selbst gestalten und Einfluss nehmen können – im Schulleben und in der Gesellschaft. Ein Klassenchat erweist sich beispielsweise als sehr nützlich, um sich schnell zu informieren und abzusprechen. Aber er kann auch Nährboden für Cybermobbing, Beleidigungen und Hassreden sein, Fotos können Auslöser zum Spießrutenlauf werden. Auch Lehrkräfte sind von Hatespeech und Mobbing nicht verschont. »Unsere Schülerinnen und Schüler sind heute stärker als je zuvor von einer digitalen Welt umgeben. Wir wollen sicherstellen, dass sie nicht nur über technische Fähigkeiten verfügen, sondern auch über das Bewusstsein und die Empathie, um respektvoll miteinander umzugehen«, so der Anspruch von Anne Petkovic. Was tun, um präventiv gegen diese moderne Form der Gewalt vorzugehen? »Die Kinder bewegen sich einen großen Teil des Tages in der digitalen Welt, da vergeben wir uns viel, wenn wir uns aus allem raushalten. Verbieten ist keine Lösung. Schule muss etwas mit der Lebenswelt der Kids zu tun haben und sie auf ihre Möglichkeiten, aber auch Aufgaben in unserer Gesellschaft vorbereiten.«
Anne Petkovic befasst sich schon seit langer Zeit mit diesen Themen, sie besuchte zahlreiche Fortbildungen. Da kam ihr die Ausschreibung einer Stelle als Pädagogische IT-Koordinatorin (PITKo) vor vier Jahren gerade recht. »Wir haben uns als Gymnasium erfolgreich um das Medienprojekt ›Schule und digitale Demokratie‹ beworben.« Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der Aktion Zivilcourage e.V. und dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus. Damit wurden Workshops für die Lehrkräfte beispielsweise zu Themen wie Cybermobbing, Datenschutz und Hatespeech sowie zu verschiedenen Unterrichtstools angeboten. »Ich habe dabei viel gelernt«, sagt Anne Petkovic. Auch die Schülerinnen und Schüler konnten an verschiedenen Workshops teilnehmen. So befassten sich die 5. und 6. Klassen damit, wie Cybermobbing gestoppt werden kann. Um Meinungsbildung im Netz ging es bei den 7. Klassen, während sich die 8. Klassen mit Datensicherheit befassten. Wie man Fake News erkennt, war Thema in den 9. und 10. Klassen.
Peers können mehr bewegen
Besonders wirksam sei es, wenn die Schülerinnen und Schüler miteinander sprechen. »Die können es einfach anders erklären und Gleichaltrigen Inhalte anders vermitteln«, sagt Petkovic. Auch in der Wirtschaft und der Wissenschaft hat sich ein sogenanntes Peer-Training bewährt. Es bedeutet so viel wie Lernen auf Augenhöhe von Menschen mit ähnlichen Lebensrealitäten. Peers haben oft einen viel besseren Zugang zu Themen, die sie selbst betreffen. Dadurch können sie mehr bewegen als »klassische« Trainerinnen und Trainer. So nahmen auch am Oberland-Gymnasium Seifhennersdorf Interessierte aus den 8. und 9. Klassen an einer zweitägigen Peer-Ausbildung teil. Sie erhielten praxisnahe Tipps, übten Moderation und Rhetorik, befassten sich mit psychologischen und sozialen Aspekten von Gewalt im Internet. Am Ende der Ausbildung erhielten sie ein Zertifikat der Aktion Zivilcourage e. V. sowie einen #PEER.sonalausweis.
In einem geschützten Raum sprechen die Peers nun über Folgen des Cyber-Mobbings und lernen, ihre Fähigkeiten für Empathie und Konfliktbewältigung zu stärken und gemeinsam Lösungsansätze zu finden. »Man unterschätzt die Schülerinnen und Schüler leicht. Wahnsinn, was sie bewirken können, wenn man ihnen vertraut und Verantwortung überträgt«, so die engagierte Lehrerin. So waren es auch ihre Peers selbst, die darum baten, daraus ein Ganztagsangebot zu machen. Es wurde genehmigt.
Jugendliche veranstalten selbst Elternabende
Mehr noch, die Peers wurden selbst aktiv: Sie leisten Präventionsarbeit zum Thema Mobbing und Cybermobbing. Dabei erarbeiten sie mit jüngeren Klassen die Definition dieser Begriffe. Welche Erkennungsmerkmale und welche Rollen gibt es im Konstrukt Mobbing? Wie kann man jemandem, der gemobbt wird, zur Seite stehen und dabei helfen, das Konstrukt aufzubrechen? Dazu veranstalten sie auch Elternabende, damit die Eltern über dasselbe Wissen verfügen. Sie haben dann klarere Handlungsstrategien, um ihre Kinder bei dem Thema zu unterstützen oder einfach ihre eigenen Handlungsweisen zu prüfen.
Das Konzept ging auf: Das Projekt, das von der Schulleitung und einem Großteil der Lehrkräfte unterstützt wird, habe zu mehr Ruhe geführt und bewirkt, dass Probleme in den Chats nicht mehr so hochgekocht würden, schätzt Petkovic ein. Inzwischen wurden schon weitere Peer-Jahrgänge ausgebildet. Da Anne Petkovic im neuen Schuljahr an einem Gymnasium in Görlitz lehrt, hat sie das Projekt an einen Kollegen abgegeben, damit es nahtlos weitergeführt werden kann. Das wünscht sich Anne Petkovic, die sich als Unterstützerin und Ansprechpartnerin ihrer Schülerinnen und Schüler sieht.
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Text: Bettina Klemm
Fotos: Matthias Rietschel