NeustartSchule: Neue Handreichung zum Umgang mit der Pandemie

NeustartSchule: Neue Handreichung zum Umgang mit der Pandemie

Wie kann Schule mit den Belastungen der Corona-Pandemie umgehen? Das zeigt die neue Handreichung »NeustartSchule. Die Wiederbegegnung in der Schule gestalten.«. Ein Interview mit Walter Henckel vom Theaterpädagogischen Zentrum Sachsen.

Text: Ralf Seifert

Das Theaterpädagogische Zentrum Sachsen wurde 2001 gegründet. Was ist das für eine Einrichtung und wo sind deren Schnittstellen zu schulischen Themen?

Strukturell ist das Theaterpädagogische Zentrum Sachsen, kurz TPZ Sachsen, so aufgestellt, dass es einmal den Bereich der ästhetischen und künstlerischen Arbeit und andererseits den Bereich Forumtheater sowie soziale und Schulprojekte gibt. Die tägliche Arbeit ist im Bereich der Kulturellen Bildung zu verorten.

Das TPZ Sachsen wurde von freiberuflichen Theaterpädagogen und Lehrenden, die sich für das Fach Darstellendes Spiel in Sachsen engagierten, gegründet. Damit war von Beginn an eine Schnittstelle zur Schule gegeben.

Heute bearbeiten wir den ganzen Bereich der politischen, kulturellen und sozialen Bildung, was ja gleichzeitig Querschnittsaufgaben von Schule ist, nicht nur bezogen auf die jeweiligen Unterrichtsfächer. Wir werden dem gerecht mit Projekten im Bereich Weltoffenes Sachsen, im Rahmen der Umsetzung des Handlungskonzeptes »W wie Werte« und zur Drogenprävention, Werkstätten, Beratungen und mit Klassenzimmerstücken.

Seit der Gründung arbeiten Sie mit der Methode Forumtheater. Die Bundeszentrale für politische Bildung spricht dabei von einer »Methode des Empowerments«, die zum Ziel hat, »eine benachteiligte Gruppe zu befähigen, die eigenen Interessen und Ziele zu formulieren und dafür einzustehen«. Können Sie aus Ihren Erfahrungen an sächsischen Schulen beispielhaft erklären, um welche Formen von Benachteiligung es dabei geht und wie Lösungsansätze aussehen können?

Wir treffen an den Schulen auf eine große Heterogenität im Sozialen und in der Erziehung, das schlägt sich in den Zugängen zu Bildung nieder. Das Thema Migration ist auch eher von der sozialen Seite her zu sehen. Lösungsansätze im Großen können nur systemisch sein. Wichtig ist aber für uns, im Hier und Jetzt uns mit der Realität auseinanderzusetzen, dabei spielt tatsächlich die Ermächtigung des Einzelnen – auch im Kontext der Gruppe bzw. Klasse – eine wesentliche Rolle.

Forumtheater ist eine sehr basale Methode, das heißt: Sie setzt am Leben und den Interessen der Schülerinnen und Schüler an. Sie bietet damit einen offenen Raum, indem die Lernenden angeregt werden, sich über ihre Interessen und Konflikte im Klassenverband und ihren Schulalltag zu artikulieren. Unsere Erfahrung ist, dass die Schülerinnen und Schüler dieses Gesprächs- und Spielangebot gerne nutzen.

In den Blick kommt dabei die Wahrnehmung des Anderen wie auch die Wahrnehmung eigener Bedürfnisse. Durch diesen methodisch offenen Ansatz kommen Benachteiligungen, beziehungsweise manchmal sind es auch »nur« subjektiv empfundene Benachteiligungen, zur Sprache. Im Mittelpunkt stehen dabei zum Beispiel folgende Themen: 1. Umgang mit dem Anderen/Fremden, zum Beispiel Vorurteile gegenüber Klassenmitgliedern, Außenseiter in der Klasse, Umgang mit Störenden und dominanten Gruppen innerhalb des Klassenverbandes. 2. Frustrationstoleranz – Wie kann ich mit Ärger, Wut, Traurigkeit umgehen? 3. Solidarität/Freundschaft – Wie können wir uns besser helfen? Konflikte mit Lehrenden – wie ist Selbstwirksamkeit umzusetzen – wie können wir als Klasse besser kommunizieren?

Entscheidend bei der Forumtheatermethode ist immer, dass eine Lösung gesucht und gefunden wird. Und zwar lernen die Schülerinnen und Schüler, die benachteiligt werden, von ihren Mitlernenden, denn diese versetzen sich in die Lage des bzw. der Betroffenen und werden so angeregt, konfliktlösende Verhaltensweisen zu suchen. Dies geschieht immer im konkreten bildhaften, spielerischen Darstellung der Lösung, die so ihre Tauglichkeit unter Beweis stellt. Die Methode funktioniert im Klassenverband ab Klasse fünf.

In einer im April 2021 veröffentlichten Studie des Ifo-Institutes zum Alltag von Schülerinnen und Schülern in der Pandemie heißt es: »Auch die psychische Belastung nimmt mit der Länge der Pandemie zu. Während des ersten Lockdowns gaben 38 Prozent der Kinder an, dass die Schulschließungen eine große psychische Belastung für sie seien – ein Jahr später stimmen dieser Aussage mehr als die Hälfte der Befragten zu.« Welche Erfahrungen haben Sie während der letzten 14 Monate im Umgang mit den Schulen gemacht?

Unsere ganz konkreten Erfahrungen beschränken sich coronabedingt auf den Zeitraum von Ende August bis Mitte Oktober 2020 – nur hier war es wieder möglich, direkt in der Schule bzw. außerhalb der Schule mit dem Klassenverband zu arbeiten. Unser Kontakt beschränkte sich ausschließlich auf E-Mails und in seltenen Fällen auf Telefonate mit den Lehrenden bzw. Schulsozialarbeitern.

Um hier den Kontakt zu pflegen, haben wir bereits im Mai 2020 eine erste Handreichung für Lehrkräfte »Wie werde ich meiner Klasse wieder begegnen – Umgang mit den Belastungen der Corona-Krise?« ausgearbeitet. Im Wissen darum, dass jede Lehrkraft im Konflikt steht, einerseits den Lernstoff nun wieder aufzuholen, andererseits auch die emotionalen und sozialen Folgen des Lockdowns für Schülerinnen und Schüler wie auch für sich selbst zu berücksichtigen.

In den Gesprächen und Mails war und ist der Druck, unter dem viele stehen, sehr zu spüren. Über Verbände und Sozialeinrichtungen erhalten wir auch Nachrichten über die Situation vieler Schülerinnen und Schüler – das deckt sich mit den Studien. Viele Lehrende und Mitarbeitende der Schulsozialarbeit waren dankbar für diese auch spielerisch aufbereitete Handreichung – uns erreichten aber auch einige Rückmeldungen, dass für dieses Anliegen der Aufarbeitung keine Zeit zur Verfügung stehe.

Wir sind sehr gespannt, wie es sein wird, wenn wir nach diesem langen zweiten Lockdown wieder in Schulen mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten können, inwieweit die Folgen von Corona spürbar sind.

Ihre neue Handreichung »NeustartSchule. Die Wiederbegegnung in der Schule gestalten.« zeigt eine mögliche Umgangsweise mit den Belastungen der Pandemie auf. Was bieten Sie den Lehrkräften und Schulsozialarbeitenden damit?

Die Handreichung soll vor allem eine Ermutigung für Lehrende, Schulsozialarbeitende und Schülerinnen und Schüler sein. Sie nimmt die Zeit und die Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern – aber auch Lehrenden – im Lockdown in den Blick. Das heißt: Sie beleuchtet die Erfahrungen, die jetzt im Hintergrund noch immer wirksam sind. Beispielsweise musste jeder über einen langen Zeitraum seine Tagesstruktur neugestalten, jeder konnte seine Freunde nur eingeschränkt treffen, jeder verbrachte mehr Zeit zu Hause in seiner Familie. Diese gezwungenermaßen erlebten Wandlungsvorgänge wurden unterschiedlich bewältigt, für die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler war es wohl eine große Belastung und Verunsicherung, die nun – so unsere These – in den Schulalltag hineinwirkt.

Die Handreichung soll Lehrende und Schulsozialarbeitende bestärken, denn sie haben mit den zehn angesprochenen Themenkomplexen ein Instrumentarium in der Hand, das ihnen ermöglicht zu sehen, was in ihren Schülerinnen und Schülern und Schülerinnen innerlich vorgeht, womit diese beschäftigt sind. Damit kann es angesprochen und mittels spielerischen Angeboten umgesetzt werden – das werden die Schülerinnen und Schüler als entlastend empfinden, was ihnen wieder ermöglicht im Schulalltag anzukommen.

Die Handreichung muss nicht in Gänze umgesetzt werden, das ist abhängig vom Befinden der jeweiligen Klasse, es kann auch sein, dass nur ein oder zwei Themen eine Relevanz haben. Nichtsdestotrotz sind wir der Meinung, dass wir mit den zehn Bereichen existentielle Themen von Kindern und Jugendlichen ansprechen, die aus unserer Sicht immer eine Gültigkeit haben und so den Hintergrund eines erfolgreichen Schullebens bilden.

Welche Schulen können sich an Sie wenden, wenn sie an den Methoden und didaktischen Konzepten des Theaterpädagogischen Zentrums Sachsen bzw. einer Zusammenarbeit interessiert sind?

Wir sind für alle Schularten und Schulformen ohne Altersbeschränkung offen und bieten die gesamte Palette – also Werkstätten und Projekte zur musischen, kulturellen, sozialen und politischen Bildung – an. Allerdings eignet sich die Methode Forumtheater für eine Grundschule erst ab Klasse drei und hier auch nur für eine kleine Gruppe von etwa sieben Kindern. Im Altersbereich Vorschule und Grundschule führen wir aktuell mit Förderung durch das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus das Forschungsprojekt »TiKtak – Theater in der Kindheit« durch, um Strategien und Methoden für theaterpädagogische Arbeit in der Kindheit zu erforschen, zu entwickeln und zu vermitteln.

Über das Interesse von Schulen an unserer Arbeit und möglichen Kooperationen würden wir uns sehr freuen. Gern suchen wir hier gemeinsam in unserem Portfolio, entwickeln aber auch je nach Bedarf und Interesse Projekte oder Werkstätten und suchen gemeinsam nach Finanzierungsmöglichkeiten, sollte die Zusammenarbeit nicht innerhalb eines unserer geförderten Projekte möglich sein.

Weitere Informationen gibt es auf der Homepage des TPZ Sachsen.

Handreichung: NeustartSchule. Die Wiederbegegnung in der Schule gestalten.

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

1 Kommentar

  1. Anja H. 3 Jahren vor

    Ein wichtiges Instrument! Zur „Tagesordnung“ sollte Schule jetzt nicht als erstes übergehen. Kinder und Jugendliche haben ein Reflektieren der vergangenen Monate definitiv verdient.
    Und Eltern übrigens auch- deren „Zeugnisse“ über ihre Homeschool- Kinder werden Pädagogen viel vom Lernstand UND der Entwicklung von Lebenskompetenzen ihrer Schüler aufzeigen.

    Was es für die Anwendung der Handreichung braucht, ist allerdings Zeit. Die gibt es im regulär zu Ende gehenden Schuljahr nicht mehr genügend.
    Haben wir den Mut zu einer Verlängerung der nächsten beiden Schuljahre? (Siehe ZEIT Artikel „Geschenkte Zeit“ vom 21. April 21)

    Es wäre eine Chance, auch für die erschöpften Lehrkräfte nach all den Monaten mit zumeist hohem Engagement..