Eine Demokratie braucht Menschen, die kritische Fragen stellen, die aufstehen, ihre Meinung sagen und sich mit den Meinungen anderer auseinandersetzen, die zuhören und reden können. Menschen, die fair und sachlich streiten. Schon in der Schule kann man damit beginnen. »Jugend debattiert« verbindet das Training im Unterricht mit einem bundesweiten Wettbewerb (www.jugend-debattiert.de). Auf Schul-, Regional- und Landesebene bis hin zum Bundeswettbewerb können Schülerinnen und Schüler ab Klasse 8 in zwei Altersgruppen ihre neu gewonnenen Fähigkeiten erproben.
Die »Jugend debattiert«-Community wuchs in den letzten 20 Jahren enorm. Allein in Deutschland nehmen rund 200.000 Schüler und Schülerinnen und 7.500 Lehrkräfte aus 1.400 Schulen teil. Und dazu noch Deutschlernende in rund 40 Ländern.
Nach jahrzehntelanger engagierter und sehr erfolgreicher Arbeit als Landeskoordinatorin Sachsens übergibt Martina Jahn mit dem neuen Schuljahr den Staffelstab an Susann Kaboth vom Martin-Andersen-Nexö Gymnasium Dresden und Tina Kleefeldt vom Romain-Rolland-Gymnasium Dresden.
Was fasziniert Sie an »Jugend debattiert«?
Martina Jahn: Wie oft wirft das Leben in einer pluralistischen Gesellschaft wie unserer Fragen auf, die überall entstehen, wo Menschen mit unterschiedlicher Meinung auch ganz unterschiedlich handeln? Schule ist und bleibt Spiegelbild des gesellschaftlichen Miteinanders. Klar denken, aber fair streiten ist eine notwendige Voraussetzung dafür, viele Fragen mit jungen Menschen zu beantworten. Um den Prozess einer Debattenkultur zu gestalten, machen sich in Sachsen immer wieder engagierte Lehrerinnen und Lehrer auf den Weg, ihren Schülerinnen und Schülern wichtige Grundlagen dafür zu vermitteln. Dieser Weg ist oft nicht leicht, fordert viel Engagement, zumal dies außerhalb des Stundendeputates und ohne jegliche Anrechnung erfolgt. Das nehme ich mit großer Achtung und Dankbarkeit wahr. Faszinierend ist für mich, auf welch hohem Niveau es dank dieses hohen Einsatzes unserer Kolleginnen und Kollegen gelingt, Debatten zu gestalten, in der alle etwas lernen. Sowohl die Debattierenden als auch die Zuhörenden gelangen von einer Kontroverse zum Erkenntnisgewinn. Dabei agieren sie streng in der Sache und freundlich im Wort. Manche Debatten in Politik und Gesellschaft können sich daran durchaus ein Beispiel nehmen.
»Jugend debattiert« ist nicht nur ein Projekt der Demokratiebildung und der politischen Bildung, sondern vermittelt Schülerinnen und Schülern vor allem Selbstwirksamkeit. Sie erlangen die Fähigkeit mutig aufzustehen, die eigene Meinung mit Sachkenntnis zu vertreten. Beindruckend bleibt immer wieder, wie selbstsicher, sprachlich wirkungsvoll und respektvoll das geschieht. Diese wichtigen Kompetenzen zu fördern, ist für die Lehrerinnen und Lehrer harte Arbeit, aber eine schöne Aufgabe und ein Stück gemeinsamen Weges. In Basisseminaren lernen und üben die Kolleginnen und Kollegen zunächst erst einmal selbst, was sie später mit ihren Klassen und Gruppen trainieren. Auch diese Prozesse sind wertvoll.
Mich fasziniert, wie sich junge Menschen durch »Jugend debattiert« entwickeln, vor allem auch als Persönlichkeiten. Das nehme ich als einen unschätzbaren Gewinn mit. Im gegenseitigen Austausch und mit dem notwendigen Perspektivwechsel lernen sie Schritt für Schritt, ihre eigene Haltung konstruktiv zu vertreten und überzeugend zu argumentieren. Das stärkt sie auch im persönlichen Umfeld und in Prüfungssituationen. In spannenden Debatten tragen viele Schülerinnen und Schüler zu lebendigen Unterrichtsgesprächen bei und bringen sich engagiert in Gestaltungsprozesse ihrer Schulen und Kommunen ein. In keinem anderen Projekt meiner mehr als 20jährigen Tätigkeit als Landeskoordinatorin habe ich so viele Weiterentwicklungen von Menschen erlebt, meine eigene inbegriffen. Das berührt mich sehr.
Warum sollten sich Schulen unbedingt an diesem Programm beteiligen?
Martina Jahn: »Jugend debattiert« fördert sowohl den Einzelnen, als auch die Schulgemeinschaft. Eine etablierte Feedbackkultur als Resultat des fairen, konstruktiven Streitens unterstützt wirkungsvoll Partizipationsprozesse an der Schule. Wettbewerbe und öffentliche Debatten zu schuleigenen Themen bereichern das Schulleben, festigen die Gemeinschaft und haben zudem eine sehr positive Außenwirkung. Nach manchem Basisseminar an Schulen zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern haben mir die Beteiligten signalisiert, dass sie auch als Kollegium näher zueinander gerückt sind.
»Jugend debattiert« ist aber auch eine hervorragende Möglichkeit, sich mit anderen zu messen, Schülerinnen und Schüler aus dem Schulverbund, dem Bundesland und bundesweit kennenzulernen und sich mit spannenden Themen aus Politik und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Dieser Schritt folgt aber erst, nachdem »Jugend debattiert« als Projekt an der Schule auf sicheren Füßen steht.
Macht euch auf den Weg, nehmt genügend Proviant mit, baut auf Erfahrungen anderer im »Jugend debattiert«-Schulnetz, lasst euch nicht entmutigen und sucht euch zuverlässige Begleiter aus allen Bereichen. Bei »Jugend debattiert« lernen alle Beteiligten. Versprochen.
Warum ist es wichtig für mich, mich für dieses Programm zu engagieren?
Tina Kleefeldt: »Jugend debattiert« bietet eine Vielzahl von Vorteilen für Jugendliche. Es trägt zur persönlichen Entwicklung junger Menschen bei, fördert das demokratische Verständnis und die soziale Integration. Neben der Verbesserung beziehungsweise der Ausbildung von Argumentationsfähigkeit sind für mich drei Punkte bei »Jugend debattiert« wichtig: Die Selbstsicherheit, die Jugendliche im Projekt entwickeln können, die an der Sache orientierte Auseinandersetzung mit aktuellen Themen, die zu einer Versachlichung mitunter hoch emotionaler Diskurse und Themen beiträgt und – vielleicht am wichtigsten aus meiner Sicht – der in der Debatte vollzogene Perspektivwechsel, weil die Themen anwaltlich vertreten werden. Junge Menschen werden über ihre Erfahrungen, ihr Wissen, ihre persönliche Filterblase hinaus dazu angeregt, sich in andere Meinungen, Positionen und Lebensweisen hineinzuversetzen. Damit leistet »Jugend debattiert« einen wichtigen Beitrag für gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Susann Kaboth: Während meines Referendariats nahm ich vor 10 Jahren bei Martina Jahn selbst an einem Basisseminar von Jugend debattiert teil. Seitdem brenne ich für dieses Programm als Schul-, später Regional- und nun auch Landeskoordinatorin. Seit drei Jahren bilde ich selbst Lehrkräfte in ganz Sachsen aus und halte eben diese Basisseminare. Als Englischlehrerin weiß ich um die Relevanz des gesprochenen Wortes und der perfekten Wortwahl. Als Politiklehrerin sehe ich aber natürlich den immensen Mehrwert des Perspektivwechsels, den Schülerinnen und Schüler hier gezwungen sind vorzunehmen. Die Fähigkeit, sich in die Lebensumstände anderer einzufühlen, ist etwas, was uns heutzutage oft fehlt. Auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Thema auf der Sachebene finde ich spannend. Kennen wir wirklich alle Argumente zu einer Streitfrage oder nur die aus unserer Bubble? Und wie wichten wir diese? Denn manchmal ist ein Pro-Argument schwerwiegender als fünf Gegenargumente. Letztendlich ist einer der wertvollsten Grundsätze des Programms das Beharren auf seiner Position und damit auch das Aushalten des Faktes, dass der Debattengegner sich ebenfalls auf keinen Kompromiss einigen wird. Denn letztendlich dient die Debatte nun einmal dem Publikum, welches sich daraufhin eine fundierte Meinung bilden soll. Und gerade dieses Publikum hat es in Zeiten von Falschmeldungen, Desinformation und Populismus verdient, gut recherchierte Debatten zu erleben, in denen Austausch und auch das Hinterfragen von Gesagtem auf faire Weise stattfindet. Zuletzt schätze ich das Programm mehr und mehr über die Jahre für seine treffsichere Auswahl in den Debattenthemen – welche so zeitgemäß immer wieder die Jugendlichen motivieren können, sich in die Auseinandersetzung mit der Thematik zu begeben.
Was nehme ich mir vor?
Tina Kleefeldt: Susann Kaboth und ich treten als Nachfolgerinnen von Martina Jahn in wirklich große Fußstapfen. Das hat für uns den Vorteil, dass wir ein herausragend aufgebautes »Jugend debattiert«-Schulnetz in Sachsen vorfinden. Dieses gilt es zu pflegen und zu erhalten. Wir stehen aber auch vor großen Herausforderungen. Politische Bildung an unseren Schulen muss noch stärker als bisher verankert und weiter ausgebaut werden. Dazu müssen Lehrkräfte gewonnen und ausgebildet sowie gemeinsam gangbare Wege gefunden werden, dass politische Bildung nicht irgendwas ist, was im Nachmittagsbereich und nebenbei läuft, sondern zielführend und gewinnbringend für alle Beteiligten in den Unterrichtsalltag implementiert werden kann. Argumentations- und Diskursfähigkeit gehört zu den Kernkompetenzen für Menschen innerhalb eines funktionierenden Gemeinwesens. Deshalb ist es für die nächsten Jahre ein großes Ziel, »Jugend debattiert« an nichtgymnasialen Schulen zu stärken. Das wird sicher eines der großen Themen für uns sein.
Susann Kaboth: Martina Jahn hat den Wettbewerb über 20 Jahre geprägt, dabei eine hohe Professionalität entwickelt und auch immer Wege gefunden die ehrenamtliche Tätigkeit der engagierten Lehrkräfte zu würdigen – dies würde ich gern aufrechterhalten. Unsere Baustellen sind die weitere Ausbildung von neuen Lehrkräften und damit die Gewinnung neuer Schulen sein. Insgesamt planen wir die Organisation des Wettbewerbs zukünftig digitaler zu gestalten und testen neue Formate für Aufbauseminare des bereits bestehenden Teams. Im Austausch mit anderen Landesverbänden versuche ich Wege zu finden, das Programm zu stärken, vor allem in Hinblick auf die Belastung der Kolleginnen und Kollegen in Zeiten des Lehrermangels.
Foto: Anastasia Wendt