»Wenn es brenzlig wird an Schulen« – Fünf neue Fallbeispiele aus der pädagogischen Praxis

»Wenn es brenzlig wird an Schulen« – Fünf neue Fallbeispiele aus der pädagogischen Praxis

Religiös begründete Konflikte, Verschwörungsideologien und Hass im Klassenchat: Schulen sind immer wieder neuen Herausforderungen ausgesetzt, mit denen sowohl Schulleiterinnen und Schulleiter als auch Lehrkräfte im pädagogischen Alltag umgehen müssen. Hier gilt: Handeln, nicht Wegsehen! Die Fallbeispielsammlung »Herausforderungen politischer Bildung und pädagogischen Handelns an sächsischen Schulen« soll dabei Rechtssicherheit und eine Handlungsorientierung geben.

In den Blogbeiträgen »Wenn es brenzlig wird an Schulen – Handreichung soll Lehrkräften helfen« und »Wenn es brenzlig wird an Schulen – Handreichung mit neuen Fallbeispielen veröffentlicht« wurde bereits über die Fallbeispielsammlung berichtet.

Für insgesamt 15 Problemsituationen aus der pädagogischen Praxis wurde die aktuelle Rechtslage beurteilt und Handlungsmöglichkeiten von Schulleitung und Lehrkräften dargestellt.

Download der aktuellen Fassung (Januar 2021):
»Herausforderungen politischer Bildung und pädagogischen Handelns an sächsischen Schulen. Eine Fallbeispielsammlung«

In den letzten Jahren wird verstärkt die Frage nach dem Umgang mit islamistischen Radikalisierungstendenzen von Schülerinnen und Schülern gestellt. Zur dieser Thematik gibt es ein neues Fallbeispiel, welches wir Ihnen hier in Auszügen vorstellen. Ergänzend zum Thema empfehlen wir den Beitrag der Kolleginnen und Kollegen vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg zum pädagogischen Umgang mit islamistisch geprägten Anschlägen.

Fallbeispiel: »Ungläubige« im Klassenzimmer

Im Gemeinschaftskundeunterricht der 8. Klasse werden die Grundrechte diskutiert, darunter die Religionsfreiheit. Samim R. meldet sich und äußert, dass es nur eine wahre Religion gebe, den Islam. Er sagt, dass er alle anderen Religionen ablehne, ihre Angehörigen also Kuffar [arabischer Begriff für »Ungläubige« oder »Gottesleugner«] seien. Auch in seiner Klasse säßen nur Kuffar. Mit Kuffar könne man aber nicht befreundet sein, denn dann würde man selbst einer von ihnen und käme in die Hölle.

Rechtslage

Im vorliegenden Fallbeispiel sind insbesondere die Grundrechte auf Glaubens-, Weltanschauungs- und Gewissensfreiheit nach Art. 4 GG sowie das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 GG berührt. […] Die geschilderte Äußerung des Schülers hat für sich genommen keine strafrechtliche Relevanz, da sie weder als eine Nötigung nach § 240 StGB noch als eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB verstanden werden kann. […]

Unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung sind Schulleitungen und Lehrkräfte im vorliegenden Fall zum Handeln verpflichtet, da die Gefahr einer Radikalisierung des Schülers bestehen könnte, denn die Äußerungen von Samim R. deuten auf salafistisches Gedankengut hin. Nach § 1 Abs. 5 Ziffer 4 SächsSchulG ist es Teil des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule, dass Schülerinnen und Schüler lernen, »allen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen, unabhängig von ihrer ethnischen und kulturellen Herkunft, äußeren Erscheinung, ihren religiösen und weltanschaulichen Ansichten und ihrer sexuellen Orientierung sowie für ein diskriminierungsfreies Miteinander einzutreten«. Damit ist allen Erscheinungsformen des Islamismus in der Schule entschieden zu begegnen. […]

Schulorganisatorische Maßnahmen

Unmittelbare Maßnahmen

  • Positionierung der Lehrkraft zur Religionsfreiheit als fundamentales Grundrecht unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung
  • Information der Klassenlehrerin bzw. des Klassenlehrers sowie der Beratungslehrerin bzw. des Beratungslehrers über den Vorfall
  • Gespräch mit Samim R. im Anschluss an den Unterricht
  • Telefonat der Klassenlehrerin bzw. des Klassenlehrers mit der Koordinierungs- und Beratungsstelle Radikalisierungsprävention (KORA)

Weiterführende Maßnahmen

  • Gespräch mit den Eltern von Samim R. unter Einbeziehung von KORA und ggf. Unterstützung durch die Schulassistenz oder andere Begleiter, zum Beispiel den Sprachmittlerservice
  • Information und Beratung in der Klassenkonferenz über den soziokulturellen Hintergrund und mögliche befördernde Diskriminierungserfahrungen von Samim R. in der Klasse
  • regelmäßige Gespräche der Beratungslehrerin bzw. des Beratungslehrers mit Samim R., um einer Radikalisierung entgegenzuwirken bzw. diese sensibel wahrnehmen zu können und in Abstimmung mit KORA weitere Schritte einzuleiten
  • Information des Jugendamtes durch die Schulleitung

Mögliche pädagogische Maßnahmen

Individuelle Arbeit

  • Gespräche mit einer Vertrauensperson in der Schule zur Ursachenergründung und Bewusstmachung der eigenen Handlungen

Arbeit mit der Klasse

  • Informationselternabend zum Thema Prävention von politischem und religiösem Extremismus
  • Organisation eines Team-Tages mit der Klasse
  • Gestaltung eines Projekttages für die Schülerinnen und Schüler der Klasse zum Thema Islam, Islamismus, Religion, Religionsfreiheit und Islamfeindlichkeit unter Einbeziehung außerschulischer Partner

Schulgemeinschaft

  • Durchführung eines Pädagogischen Tages zum Thema »Umgang mit radikalisierten Schülerinnen und Schülern«
  • Nutzung außerschulischer Bildungs- und Beratungsangebote zum Thema Islam, Islamismus, Religion, Religionsfreiheit und Islamfeindlichkeit im Rahmen von Präventionsarbeit (z. B. in Abstimmung mit KORA)

Die ausführliche Darstellung dieses Fallbeispiels mit Hinweisen zu Unterstützungsangeboten und weiterführenden Materialien finden Sie in der aktuellen Ausgabe unserer Fallbeispielsammlung »Herausforderungen politischer Bildung und pädagogischen Handelns an sächsischen Schulen«.

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

1 Kommentar

  1. Mimas R. 3 Jahren vor

    Liebe Lynn Winkler,
    da haben Sie ja aus den fünfzehn (nichts zu danken) Beispielen der Broschüre blind das eine herausgesucht, das den sächsischen Lehrerinnen und Lehrern momentan auf den Nägeln brennt. Hoffen wir gemeinsam, dass Samim R. und ähnliche „Problemfälle“ bald mit Kolleginnen und Kollegen zu tun haben, die sich „außerschulisch“ mit dem Thema „Islamfeindlichkeit“ befassen. Der Blog, der dieses schöne Beispiel so prominent präsentiert, zeigt ja schon mal, welche Erwartungshaltungen „innerschulisch“ bestehen.
    Kann’s kaum erwarten.

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