Jedes Kind ist anders

Jedes Kind ist anders

Der Eintritt in die Grundschule ist für Kinder wie Eltern ein einschneidendes Erlebnis: Plötzlich will die Schultasche ordentlich gepackt sein und Brotdosen und frühes Aufstehen gehören jetzt zum Alltag. Aber es stehen auch noch ganz andere Themen und Fragen an: Wird mein Kind den Schulstart meistern? Wird es mithalten können?

Tatsächlich bringen Kinder zum Schulanfang ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit. Manche können schon etwas lesen oder schreiben, andere vielleicht rechnen. Wiederum andere haben Probleme mit der Stillarbeit und der Konzentration. Die Wissenschaft aber weiß: Viele spätere Lernprobleme deuten sich bereits im frühen Kindesalter an. Sie verstärken sich über die Jahre, wenn ihnen nicht frühzeitig begegnet wird.

Hier sind die Lehrerinnen und Lehrer der rund 840 Grundschulen im Freistaat Sachsen gefragt. Sie haben den Auftrag, die Stärken sowie möglichen Förderbedarf der Kinder zu ermitteln. Der Fachbegriff dafür heißt »Pädagogische Diagnostik in der Grundschule«.

Erste Einschätzungen schon im Kindergarten

In Großenhain an der 2. Grundschule »Bobersberg« beginnt die pädagogische Diagnostik schon mit der Schulanmeldung. Einmal in der Woche ist Heike Magotsch dafür bei den beiden Kooperationskindergärten ihrer Schule zu Besuch. Sie ist Lehrerin an der 2. Grundschule und Fachberaterin für die Schuleingangsphase.

In den Kitas lernen sie und eine Kollegin die künftigen Schulkinder kennen. Sie beobachten die Kinder bei ihrem Alltag, sprechen viel mit den Erzieherinnen und Erziehern und sind bei Elternabenden im Vorschuljahr dabei.

Heike Magotsch ist in ihrer Funktion als Fachberaterin für die Schuleingangsphase außerdem in einer Expertengruppe des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus. Die Gruppe trifft sich regelmäßig zum Thema Gestaltung des Anfangsunterrichts, absolviert Schulbesuche und berät Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Lehrerinnen und Lehrer.

Schulhaus-Rallye für Kita-Kinder

»Es ist sehr wichtig, schon im Vorfeld des Schulanfangs mit den Eltern in Kontakt zu kommen«, sagt die Expertin. Gerade wenn Kinder Auffälligkeiten zeigen oder Eltern sich nicht sicher sind, ob das Kind schon bereit für die Grundschule ist, kann sie helfen und beraten.

Magotschs Besuche in den Kooperationskindergärten sind aber nicht nur einseitig: Die Kita-Kinder kommen auch schon mal zu ihr an die Grundschule. »Aktuell haben wir ein Zirkusprojekt. Da können die Kita-Kinder richtig mitmachen«, berichtet die Lehrerin stolz.

Jedes Jahr führen die Viertklässler außerdem die Vorschulkinder durchs Schulhaus und zeigen ihnen bei einer Schulhaus-Rallye die Räumlichkeiten. Spielerisch lernen die Kleinen dabei kennen, was eine Schulleiterin, eine Sekretärin und ein Hausmeister so machen, wie die Klassenräume aussehen und wie der Schulalltag funktioniert.

Am Anfang gibt es Klassenleiter-Unterricht

In den ersten Schulwochen steht die Ermittlung des aktuellen Entwicklungsstandes des Kindes im Vordergrund. Die ist in der Schulordnung Grundschulen in Sachsen (SOGS) so vorgeschrieben. Deswegen gibt es an allen Grundschulen im Freistaat in den ersten Wochen Klassenleiter-Unterricht. Er dient dazu, die sogenannte Lernausgangslage der einzelnen Kinder festzustellen.

Kann das Kind gut sehen, hören, Dinge aufnehmen? Kann es Linien nachzeichnen oder puzzeln? Wie ist seine Wahrnehmung? Konkret werden die vier Bereiche kognitive, sprachliche, emotionale und soziale sowie körperlich-motorischen Entwicklung genauer betrachtet.

Um den jeweiligen Entwicklungsstand zu ermitteln, setzt das Kollegium der 2. Grundschule Großenhain schon seit einigen Jahren einen Entwicklungsbogen ein. »Viele Dinge sieht man als Lehrerin einfach aus Erfahrung recht schnell«, sagt Heike Magotsch. Die Beobachtungen werden dann im Kollegium diskutiert.

Als unterstützendes Instrument haben Magotsch und ihre Kolleginnen und Kollegen ein Arbeitsheft entwickelt, in dem das Kinderbuch: »Der Löwe, der nicht schreiben konnte« eine zentrale Rolle spielt.

Das ist aber nur eine Variante, mit denen Grundschullehrerinnen und -lehrer die Lernausgangslage der Kinder ermitteln können. Viele weitere Instrumente und Übungen stellt das Sächsische Staatsministerium für Kultus in Broschüren vor, die sich mit den einzelnen Teilgebieten befassen:

In den Broschüren sind ausführlich die wissenschaftlichen Hintergründe der einzelnen Themengebiete beschrieben. Sie geben den Lehrerinnen und Lehrern außerdem Hilfestellungen bei der Umsetzung.

Drei Präventionsebenen: Ganze Klasse, Schülergruppen, Einzelförderung

Damit Kinder optimal gefördert werden, empfiehlt das Kultusministerium dabei drei Präventionsebenen:

  1. Die erste betrifft alle Kinder im normalen Unterricht. »Das geht nur über individuelle Aufgabenstellungen«, sagt Heike Magotsch. Alle Kinder bekommen eine gemeinsame Startaufgabe, dann wird in kleinen Gruppen weitergearbeitet. Die Lehrerin kann dann etwa die Kinder unterstützen, die noch Hilfe benötigen.
  2. Die zweite Ebene wird im Förderunterricht abgedeckt. Dort werden Schülergruppen individuell nach ihren Förderbedarfen unterstützt. »Da fangen wir mit den Themen an, die am auffälligsten sind«, sagt Magotsch. Sobald ein Kind eine Hürde genommen hat, kann es in eine andere Gruppe. »Es ist dabei wichtig, mit den Kindern die eigenen Lernerfolge zu reflektieren, dass sie selbst sehen, welche Erfolge sie haben«, erklärt die Fachberaterin.
  3. Die dritte Präventionsebene betrifft nur sehr wenige Kinder, sie wird gewöhnlich nicht mehr von der Schule bedient. Da kommen zum Beispiel externe Kräfte in die Schule oder die Kinder gehen individuell zu Fördermaßnahmen außerhalb. Dazu gehören etwa Ergotherapie oder Logotherapie.

Diagnostik geht noch weiter

Die pädagogische Diagnostik in der Schuleingangsphase ist aber nur der erste Teil der Maßnahmen, wie sächsische Grundschulen Kinder aufnehmen und entsprechend den eigenen Kompetenzen und Anlagen unterstützen und fördern.

Nach der Ermittlung der Entwicklungsstände in Kita und Grundschule geht es in den zweiten, dritten und vierten Klassen nahtlos weiter. Dort stehen Lernstandserhebungen in Mathe und Deutsch sowie Kompetenztests an. Und auch dort gibt es immer wieder die Möglichkeit für die Lehrerinnen und Lehrer einzugreifen, um die Kinder einzeln, in Gruppen oder im Klassenverbund zu fördern. Immer mit dem Ziel, jedes Kind nach seinen individuellen Fähigkeiten optimal zu fördern.

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

1 Kommentar

  1. Adrian 1 Jahr vor

    Je eher wir die Vielfalt verstehen, desto leichter wird es sein, in einem solchen Umfeld zu leben, zu lernen und zu arbeiten.