„Auf die Schulstruktur an sich kommt es nicht an.“ Interview mit der Chefin des IQB Prof. Dr. Petra Stanat

„Auf die Schulstruktur an sich kommt es nicht an.“ Interview mit der Chefin des IQB Prof. Dr. Petra Stanat

Wie gut ist eigentlich die Bildung in den einzelnen Bundesländern? Den Überblick darüber hat Prof. Dr. Petra Stanat, die Direktorin des Institutes zur Qualitätsentwicklung in der Bildung (IQB). Das Institut überprüft regelmäßig mittels Bildungsmonitoring, ob die Bundesländer die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz erfüllen. Im Interview mit uns bescheinigt sie Sachsen gute Ergebnisse. Gründe dafür sieht sie in der Arbeit der Lehrer und im „schlanken zweigliedrigen Schulsystem“.  Deshalb warnt sie auch davor, an dieser Struktur etwas zu ändern. Sorgen macht ihr viel mehr der Generationswechsel bei den Lehrern.

Ein Interview von Dirk Reelfs.

Sachsen hat beim IQB-Ländervergleich nicht so schlecht abgeschnitten. Worin sehen Sie die Stärken sächsischer Schulen?

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Prof. Dr. Petra Stanat, Direktorin des IQB

Prof. Dr. Petra Stanat: Den sächsischen Schulen scheint es insgesamt gut zu gelingen, alle Schülerinnen und Schüler zu fördern. Dies war besonders beeindruckend im IQB-Ländervergleich 2012, in dem wir Kompetenzen im Fach Mathematik und in den naturwissenschaftlichen Fächern untersucht haben. Aber auch in den sprachlichen Fächern, die Gegenstand des IQB-Bildungstrends 2015 waren, können sich die Ergebnisse Sachsens sehen lassen. Im Fach Deutsch zum Beispiel erreichte im Lesen und Zuhören ein signifikant höherer Anteil von Schülerinnen und Schülern in Sachsen mindestens die Regelstandards als in Deutschland insgesamt. Und auch bei der Sicherung von Mindeststandards scheinen Schulen in Sachsen insgesamt besonders erfolgreich zu sein.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Prof. Dr. Petra Stanat: Deutlicher Handlungsbedarf bestand im Jahr 2009 im Fach Englisch. Hier konnten die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in Sachsen aber so weit gesteigert werden, dass diese im Bereich Leseverstehen im Jahr 2015 dem bundesdeutschen Durchschnitt entsprachen. Im Bereich Hörverstehen sind die Ergebnisse aber weniger günstig. So war der Anteil der Jugendlichen, die im englischsprachigen Hörverstehen den Regelstandard erreichten oder übertrafen, signifikant geringer als im Bundesdurchschnitt. Das war aber in allen ostdeutschen Ländern der Fall.

Sachsen gelingt es offenbar besser als andere Länder, die schwächeren Schüler zu fördern. Der Anteil der Schüler, die den Mindestanforderungen beim Lesen nicht genügen, ist in Sachsen geringer als anderswo. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Prof. Dr. Petra Stanat: Mit unseren Studien können wir zwar differenziertes Beschreibungswissen über Stärken und Schwächen liefern, Ursachen für die beobachteten Befunde lassen sich anhand der Daten aber nicht mit Sicherheit bestimmen. Man könnte vermuten, dass es zumindest zum Teil an der Zusammensetzung der Schülerschaft liegt – der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund ist in Sachsen ja gering. Aber auch im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Ländern, die ebenfalls einen geringen Migrantenanteil haben, gelingt die Sicherung der Mindeststandards in Sachsen besonders gut. Das ist beeindruckend und weist darauf hin, dass die Lehrkräfte in Sachsen die schwachen Schülerinnen und Schüler besonders effektiv fördern. Wie sie dies genau tun, müsste man mit Studien untersuchen, die den Unterricht genauer analysieren.

Generelle Frage: Was macht ein Schulsystem erfolgreich?

Prof. Dr. Petra Stanat: Ein Schulsystem ist dann erfolgreich, wenn alle Akteure – von der Bildungspolitik bis zur Bildungspraxis – die Qualität des Unterrichts ins Zentrum stellen und eine gemeinsame, tragfähige Vorstellung von Unterrichtsqualität haben. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die es Lehrkräften ermöglicht, einen Unterricht zu gestalten und fortlaufend weiterzuentwickeln, der durch effektive Klassenführung, kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung gekennzeichnet ist. Wichtig ist dabei auch, dass die Elemente der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung auf den verschiedenen Ebenen des Systems gut durchdacht und aufeinander abgestimmt sind.

Sollte Sachsen auch über eine Strukturreform nachdenken, um die Leistungsfähigkeit zu steigern? Immerhin blieb das zweigliedrige Schulsystem in Sachsen seit über zwei Jahrzehnten unangetastet.

Prof. Dr. Petra Stanat: Es gibt wahrscheinlich kein anderes Land auf der Welt, in dem so viele Schulstrukturreformen durchgeführt werden wie in Deutschland. Dabei zeigt das Ergebnismuster der Schulleistungsstudien sehr deutlich: auf die Schulstruktur an sich kommt es nicht an! So haben im IQB-Bildungstrend sowohl zweigliedrige als auch dreigliedrige Systeme gute Ergebnisse erzielt. Sachsen ist gut beraten, es bei seinem schlanken zweigliedrigen System zu belassen. Es spricht einiges dafür, dass die guten Ergebnisse, die hier erzielt werden, auch auf die Stabilität des Schulsystems zurückzuführen sind, die es den Lehrkräften erlaubt, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren: die Gestaltung von Unterricht.

Auch in Sachsen ist der Lehrerarbeitsmarkt leergefegt. Immer häufiger besetzen Seiteneinsteiger die freien Lehrerstellen. Gibt es Erkenntnisse, wie sich die Leistungen der Schüler entwickeln, wenn Seiteneinsteiger unterrichten?

Prof. Dr. Petra Stanat: Was wir wissen ist, dass Schülerinnen und Schüler bei Lehrkräften, die das jeweilige Fach studiert haben, tendenziell etwas bessere Leistungen erzielen als bei fachfremd unterrichtenden Lehrkräften. Inwieweit Seiteneinsteiger mehr oder weniger effektiv sind, können wir jedoch noch nicht mit Sicherheit sagen. Zwar haben wir im IQB-Bildungstrend 2015 erste Analysen dazu durchgeführt, die aber auf geringen Fallzahlen basierten und keine eindeutigen Ergebnisse zeigten. Diese Fragestellung werden wir aber in den folgenden Studien weiter verfolgen.

Eine Frage zum Schluss: Wenn Sie Kultusministerin von Sachsen wären, was würden Sie den Schulen auf den Weg geben?

Prof. Dr. Petra Stanat: Ich würde ihnen für die gute Arbeit danken und sagen: weiter so! Sorgen würde ich mir aber darüber machen, wie das System den Generationenwechsel bei den Lehrkräften bewältigen wird, der ja auch mit einer deutlichen Zunahme von Seiteneinsteigern verbunden ist, die kein Lehramtsstudium absolviert haben. Hier würde ich die Schulen bitten, durch enge Zusammenarbeit der Kollegien dafür zu sorgen, dass die neuen Lehrkräfte gut in die Schul- und Unterrichtskultur vor Ort integriert werden, und ihnen die hierfür erforderliche Unterstützung anbieten.

Manja Kelch, Pressereferentin und Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

1 Kommentar

  1. Uta Bergmann 7 Jahren vor

    Sachsen erreicht so hohe Prozente im Vergleich mit anderen Bundesländern, weil hier die Schüler mit Problemen am gnadenlosesten aussortiert und abgeschoben werden, während sie in anderen Bundesländern mit in den geprüften Klassen an den normalen Schulen lernen dürfen. Wenn man auch hier alle Schüler eines Jahrganges prüfen würde, dann würde es schon ganz anders aussehen.