»Wir müssen das Kind in den Fokus nehmen«

»Wir müssen das Kind in den Fokus nehmen«

Um die Schülerinnen und Schüler für die Zukunft stark zu machen, erprobt die Questenberg-Grundschule in Meißen alternative Formen der Leistungsbewertung. Schulleiterin Antje Buschmann schreckt auch vor Umwegen und Hürden nicht zurück, sondern geht mit ihrem Team mutig neue Wege.

Aus bunten Legosteinen hat Antje Buschmann ihre Schule der Zukunft gebaut. Mit Rädern, damit sich die Schule nach vorne bewegt. Mit Fenstern, damit die Schulgemeinschaft in alle Richtungen blicken kann. »Zuerst habe ich gedacht: Was ist denn das für ein Blödsinn«, erinnert sich die Schulleiterin der Questenberg-Grundschule in Meißen an den Moment, als sie vor zwei Jahren in einem Workshop der Initiative »Schule macht stark« vor den kleinen Bausteinen stand. Doch Antje Buschmann ließ sich auf die Aufgabe ein und erlebte eine »Initialzündung«: »Ich habe verstanden, was Schulentwicklung alles ermöglichen und dass man vieles neu denken kann.«

Zusammen mit ihrem Stellvertreter Peter Bannier hat Antje Buschmann dann überlegt: Wie würde Schule aussehen, wenn wir sie so gestalten könnten, wie wir es wollen? Aus den gemeinsamen Überlegungen hat das Team ein Konzept entwickelt – mit vielen mutigen Ansätzen. »Die Welt bricht nicht zusammen, wenn wir etwas verändern. Corona hat gezeigt, dass Dinge auch ganz anders gehen, als wir es schon seit Jahren gemacht haben – und unter Umständen sogar besser«, so die Schulleiterin.

Vom Legomodell zum Schulversuch

Was mit einem Legomodell begann, ist nach Überarbeitungsschleifen und in engem Austausch mit dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus seit dem Schuljahr 2023/24 ein auf vier Jahre angesetzter Schulversuch. »Unser Konzept besteht aus vier Säulen: Wir wollen eine Kultur der Digitalität fördern, den Schulalltag rhythmisieren, fächerübergreifend unterrichten und alternative Formen der Leistungsbewertung erproben«, erklärt Antje Buschmann. Die vier Säulen greifen ineinander. Ein Beispiel: »Wenn wir fächerübergreifend unterrichten, ist es ganz schwierig, die Fächer am Ende wieder einzeln aufzuschlüsseln und zu bewerten«, so Antje Buschmann. Gleichzeitig kenne sie wenige Lehrkräfte, die mit der Bewertung in den Nebenfächern wirklich glücklich waren. Zum einen fehle ihnen die Zeit, man laufe den Noten in den Nebenfächern nur hinterher. Zum anderen ist die Schulleiterin überzeugt, dass die Notenvergabe in den Nebenfächern die im Lehrplan vorgegebenen Lernziele konterkarieren: »Ob das Musik, Sport, Kunst oder Ethik ist: Die Kinder sollen lernen, sich auszuprobieren, Neugier entdecken und Freude am Fach haben. Aber nur in dem Rahmen, wie die Bewertungsmaßstäbe aufgestellt sind. Das ist aus meiner Sicht ein totaler Widerspruch.«

Basiskompetenzen sind unverzichtbar

Gleichzeitig legt das Kollegium der Questenberg-Grundschule Wert auf eine ganz klare Rückmeldung in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Sachunterricht. Das Team möchte die Kinder zukunftsfähig machen – und dafür seien die Basiskompetenzen von größter Bedeutung, um im Leben erfolgreich sein zu können. »Wir bestehen an dieser Stelle auf die Leistungsorientierung. Ob ich lesen, rechnen und schreiben kann, ist entscheidend für mich und meine Zukunftsorientierung. Singen dagegen muss ich heute nicht mehr zwingend können«, erklärt Antje Buschmann. Schließlich sei es auch Aufgabe der Schule, den Kindern zu zeigen, was sie gut könnten und wie ihre Zukunft aussehen könne. Seit dem vergangenen Schuljahr werden die Leistungen der Kinder in den Fächern Musik, Kunst, Sport und Ethik nicht mehr bewertet. Was einfach klingt, ist für Antje Buschmann und ihr Team ein herausfordernder Weg mit Stolperstellen und Hürden. Immer wieder musste das Kollegium nachjustieren. »Wir haben zum Beispiel den Kindern zum Halbjahr Rückmeldungen in Form von verschiedenen Pflanzenstadien gegeben. Eine Wurzel bedeutet, dass das Kind noch Entwicklungspotenziale hat, eine Blüte zeigt, dass die Kompetenzen schon erblüht sind. Allerdings merken die Kinder schnell, dass eine Wurzel auch nichts viel anderes ist als eine Note 4 oder 5.« Weil es den Schülerinnen und Schülern aber stärkenorientierte, positive Rückmeldungen geben möchte, entschied sich das Kollegium dafür, zum Schuljahresende individuell formulierte Briefe an die Kinder zu schreiben.

Individuelle Briefe statt Noten

250 Briefe lagen bei Antje Buschmann in den Tagen vor den Sommerferien auf dem Schreibtisch. Von einem »Gänsehautmoment« spricht die Schulleiterin und zitiert aus einigen Briefen: »Manchmal fällt es dir noch schwer, den richtigen Ton zu treffen, um mit anderen Schülern in Kontakt zu kommen. Seit der Einführung unseres Klassenbriefkastens aber verfasst du viele liebevoll formulierte Briefe an deine Mitschüler und Lehrer und zauberst ihnen damit ein Lächeln ins Gesicht.« Oder: »Meist wirkst du im Unterricht eher zurückhaltend und introvertiert, aber als du gemeinsam mit deiner Theatergruppe auf der großen Bühne gestanden hast, konntest du allen zeigen, wie viel Power eigentlich in dir steckt.«

Im neuen Schuljahr arbeitet das Team daran, das Konzept der alternativen Leistungsbewertung weiter zu erproben und kontinuierlich anzupassen. So sollen jetzt Zielvereinbarungsgespräche eingeführt werden, damit die Kinder eine klare Vorstellung davon haben, woran sie arbeiten und was sie erreichen sollen. Antje Buschmann ist überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein: »Wir müssen das Kind in den Fokus nehmen und damit auch die Rückmeldung an das Kind überdenken, das Selbstvertrauen stärken und positiv geprägte Menschen ausbilden. In unserer Gesellschaft schauen wir immer mehr auf das, was nicht funktioniert, obwohl es so viel gibt, was gelingt. Das ist ein Perspektivwechsel, der beim Kind beginnen sollte, wenn wir ihn auf die Gesellschaft anwenden wollen.«

Schule der Zukunft

Der Meißener Schulversuch ist eng mit dem Projekt »Bildungsland Sachsen 2030« verbunden. Die mögliche Umsetzung einiger der im Strategiepapier formulierten Ziele erprobt die Grundschule aktuell. Im Handlungsfeld »Lernen« heißt es zum Beispiel: »2030 gestalten die sächsischen Schulen alle Lern- und Leistungssituationen anwendungs- und kompetenzorientiert. Neben den Ziffernnoten werden vielfältige Formen der Rückmeldung und der Leistungsbewertung genutzt.«

Weitere spannende Beiträge lesen Sie in der aktuellen Ausgabe unserer KLASSE.

 

Text: Antje Tiefenthal

Fotos: Matthias Rietschel

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

2 Kommentare

  1. Manfred Albert 4 Wochen vor

    Ich halte die Wortwahl des Beitrags für selbstoffenbarend. Hauptfächer vs. Nebenfächer, Lesen vs. Singen…. Hier wird eine Schwarz-Weiß-Sicht und damit eine vermeintlich einfache Darstellung unserer zunehmend komplexeren Welt deutlich, die vor allem dem widerspricht, was die Überschrift des Beitrags suggeriert.
    Basiskompetenzen sind wichtig, keine Frage, jedoch dürfen sie nicht als alleinige Bildungsziele betrachtet werden. Was ist mit den so oft zitierten 4-K-Kompetenzen?
    Wenn wir wirklich das Kind in den Fokus nehmen und zukunftsfähige Menschen erziehen und bilden wollen, brauchen wir m. E. vor allem:
    1. Ein Bildungssystem, das von zukunftsorientierten Grundwerten aus gedacht und ressourcenorientiert gemacht ist,
    2. genügend reflektierte, selbstkritische und mutige Pädagoginnen und Pädagogen, die als Vorbilder agieren und sich ihr Handeln nicht von veralteten und überfrachteten Lehrplänen diktieren lassen müssen,
    3. attraktive Arbeitsbedingungen für multiprofessionelle Teams an Schulen und
    4. Zeit und Raum für Kommunikation, Kreativität, Fehler und Konflikte.

    Es ist Zeit für die Systemfrage! Kleine Stellschrauben, wie alternative Leistungsbewertungen, werden das Kernproblem unseres staatlichen Schulsystems, nämlich ein veraltetes und längst überholtes Verständnis von Unterricht und Schule, nicht lösen.