Wenn es brenzlig wird an Schulen – Handreichung mit neuen Fallbeispielen veröffentlicht

Wenn es brenzlig wird an Schulen – Handreichung mit neuen Fallbeispielen veröffentlicht

Protestaktionen, politische Diskussionen, menschenfeindliche Äußerungen: Immer mehr kontrovers zu bewertende Situationen und besondere Vorkommnisse im Schulalltag erfordern besonderes pädagogisches Handeln von Lehrerinnen und Lehrern. Für noch mehr Handlungssicherheit bei derartigen Vorfällen wurde die entsprechende Handreichung jetzt um fünf neue Beispiele ergänzt. Wir zeigen ein Fallbeispiel in Auszügen.

Im Blogbeitrag „Wenn es brenzlig wird an Schulen – Handreichung soll Lehrkräften helfen“ haben wir über die erste Ausgabe der Fallbeispielsammlung informiert. Auch die aktuelle Handreichung „Herausforderungen politischer Bildung und pädagogischen Handelns an sächsischen Schulen. Eine Fallbeispielsammlung“ erklärt anhand von realen Vorkommnissen an sächsischen Schulen die aktuell gültige Rechtslage, gibt Hinweise zum schulorganisatorischen Handeln und zeigt mögliche pädagogische Maßnahmen und fallspezifische Unterstützungsangebote auf. Wir zeigen ein Beispiel in Auszügen.

Fallbeispiel: Wenn Opa erzählt

Der Schüler Peter S. der 3. Klasse einer Grundschule war bereits häufiger durch menschenfeindliche Äußerungen aufgefallen. Die Lehrkräfte versuchten immer wieder kindgemäß zu intervenieren.

Im Religionsunterricht von Frau T. beschäftigt sich die 3. Klasse mit der jüdischen Religion. Die Klasse bereitet gemeinsam den Besuch der dortigen jüdischen Gemeinde vor. Peter S. meldet sich schließlich zu Wort: „Von meinem Opa weiß ich, dass Juden geldgierig sind und es gefährlich ist, sich mit ihnen einzulassen. Ich gehe dort nicht mit hin!“

Rechtslage

Die Schulleitung trägt die Verantwortung für die Einhaltung und Erfüllung des im Schulgesetz festgelegten Erziehungs- und Bildungsauftrages an ihrer Schule. Nach § 1 Abs. 5 Ziffer 4 SächsSchulG sollen Schülerinnen und Schüler insbesondere lernen, „allen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen, unabhängig von (…) ihren religiösen und weltanschaulichen Ansichten (…)“. Daraus folgt, dass es nicht im Ermessen einer einzelnen Lehrkraft liegt, ob sie auf volksverhetzende und diskriminierende Äußerungen reagiert; daher ist die Einbeziehung der Schulleitung geboten, damit diese ihrer Verpflichtung zur Meldung eines besonderen Vorkommnisses gegenüber den Schulaufsichtsbehörden nachkommen kann.

Um den Erziehungs- und Bildungsauftrag zu sichern, sollten im vorliegenden Fall Ordnungsmaßnahmen nach § 39 SächsSchulG eingesetzt werden, da Erziehungsmaßnahmen im vorliegenden Fall nicht ausreichend waren. Dies begründet sich dadurch, dass die volksverhetzenden Äußerungen des Schülers eine Straftat gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellen könnten. Die Ermessensentscheidung ist auf Grundlage einer zuvor erfolgten Sachverhaltsaufklärung und unter Abwägung der daraus resultierenden Umstände zu treffen. An dieser Stelle sei auf die juristische Handreichung zu Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen verwiesen.

Bei der Exkursionsveranstaltung zum Besuch der jüdischen Gemeinde handelt es sich schulrechtlich gesehen um eine Schulfahrt. Die Vorbereitung und Durchführung von Schulfahrten ist in der VwV Schulfahrten geregelt: „Schulfahrten sind ein wichtiger Bestandteil der Erziehungs- und Bildungsarbeit der Schule. Sie vertiefen, erweitern und ergänzen den Unterricht. “ (Pkt. 1.2 VwV Schulfahrten). Durch § 26 Abs. 2 SächsSchulG i. V. m. Pkt. 1.3 VwV begründet sich mit der allgemeinen Schulpflicht die Verpflichtung von Peter S. zur Teilnahme an der Exkursion.

Schulorganisatorische Maßnahmen

Unmittelbare Maßnahmen

  • klare Position der Religionslehrerin gegen die Äußerung Peters vor der Klasse unter altersgemäßer Bezugnahme auf die historische Dimension und den volksverhetzenden Charakter der Aussage
  • Information von Klassenlehrerin oder Klassenlehrer und Schulleitung über den Vorfall durch die Fachlehrerin
  • Information der Personensorgeberechtigten

Weiterführende Maßnahmen

  • Gespräch der Schulleitung und Klassenlehrerin bzw. Klassenlehrer mit den Personensorgeberechtigten und Beratung über weitere Maßnahmen
  • ausführlicher Elternbrief zu Zielen und Inhalten der Exkursion; Gesprächsangebot
  • Information des Kollegiums über den Vorfall
  • Entscheidung über Ordnungsmaßnahmen nach § 39 SächsSchulG:
    o Anhörung der Eltern von Peter S.
    o Anhörung des Schülers Peter S.
    o Anhörung der Klassenkonferenz bei Ordnungsmaßnahmen nach Absatz 2 Satz 1 Ziffer 2 bis 5

Einbeziehung der Mitwirkungsgremien

  • Diskussion zu Möglichkeiten weiterer vertiefender kindgerechter Auseinandersetzung mit dem Thema in Schule und Unterricht in der Gesamtlehrerkonferenz
  • Thematisierung des Vorfalls unter Wahrung der Anonymität im Elternrat sowie Vereinbarung weiterer gemeinsamer Schritt

Mögliche pädagogische Maßnahmen

Individuelle Arbeit mit dem Schüler Peter S.

  • Gespräche einer schulischen Vertrauensperson mit Peter S. zur Bewusstmachung des menschenverachtenden Inhalts seiner Aussage
  • Einbeziehung von außerschulischen Experten, z. B. der mobilen Opferberatung

Schulgemeinschaft

  • kindgerechte Auseinandersetzung mit Antisemitismus im Religions- und Ethikunterricht aller dritten Klassen der Grundschule
  • kindgerechte Erläuterung zur Zuweisung von Stereotypen und daraus resultierenden Verfolgung von Juden

Die aktualisierte Handreichung „Herausforderungen politischer Bildung und pädagogischen Handelns an sächsischen Schulen. Eine Fallbeispielsammlung“ mit allen Fallbeispielen gibt es hier.

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

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