„Schule muss widerspiegeln, was sich in der Gesellschaft abspielt“

„Schule muss widerspiegeln, was sich in der Gesellschaft abspielt“

Warum die Medienbildung zunehmend wichtig wird für Sachsens Schulen. Kultusminister Christian Piwarz im Gespräch mit Peter Stawowy zur digitalen Bildung und dem Vertrauen in Medien.

Warum ist Medienbildung im Moment für die sächsische Staatsregierung so ein wichtiges Thema?

Minister Christian Piwarz: Wir haben im Bereich Medien und Digitalisierung viele technische Neuerungen, die Einzug in unseren Alltag gefunden haben. Kinder und Jugendliche kommen an vielen Stellen mit digitalen Medien und Inhalten in Berührung. Das muss sich natürlich auch im Schulalltag wiederfinden. Wenn Schule nicht das widerspiegelt, was sich in der Gesellschaft abspielt, dann wird es kaum Akzeptanz bei den Schülerinnen und Schülern geben für das, was in der Schule inhaltlich vermittelt wird. Ergo müssen wir uns darum kümmern, dass wir einerseits digitale Bildungsinhalte an Schule bringen und zum anderen die Schüler befähigen, mit digitalen Inhalten umzugehen.

Die Medienbildung soll in den kommenden Jahren als Schlüsselqualifikation in allen schulischen Bereichen gestärkt werden. Wie?

Das ist aus unserer Sicht eine klassische Querschnittsaufgabe. Deswegen werden wir kein eigenes Schulfach einrichten, sondern fachübergreifend agieren. Da müssen wir schauen, in welchen Fächern es Sinn macht, auf digitale Bildungsinhalte zuzugreifen und diese als Teil des Unterrichts zu verstehen. Auf der anderen Seite müssen wir die Schüler befähigen, mit digitalen Inhalten umzugehen und kritisch zu hinterfragen.

Ab welcher Klassenstufe soll die Medienbildung ansetzen?

Natürlich spielt die Medienbildung auch bereits im Bildungsplan für Kitas eine Rolle. Hier muss man jedoch beachten, dass das nicht heißt, dass in den Kitas digitale Medien Einzug halten sollen. Selbst die Anforderungen an die Grundschulen würde ich als moderat bezeichnen. Es richtet sich in erster Linie an Sekundarstufe I, also ab Klasse 5.

Es gibt viele Lehrer, die sich in dem Bereich der neuen Medien sehr engagieren. Anderseits hält sich das Klischee hartnäckig, dass viele Lehrer den Polylux dem Beamer vorziehen. Wie schätzen Sie die Medienkompetenz der sächsischen Lehrerschaft ein?

Das ist immer die Frage: Müssen wir zuerst die Schüler oder die Lehrer fit machen? Ich glaube, man muss beides tun. Wir haben drei Schritte vor uns: Wir müssen uns über die Inhalte verständigen, die wir an Schule lehren und lernen lassen. Dann müssen wir uns über die technische Ausstattung im Klaren werden, also welche Endgeräte und welche Technik wir benötigen. Und schließlich müssen wir auch den Lehrern Hilfestellungen an die Hand geben. Sprich: Wir brauchen Weiterbildungen, die bei den Lehrern ein generelles Verständnis dafür wecken, was möglich und notwendig ist.

Kultusminister Christian Piwarz / Foto: Benjamin Jenak

Wann geht es los mit der fächerübergreifenden Medienbildung an Schulen?

Das Thema ist noch in der politischen Abstimmung. Unser Ziel ist es, zum Schuljahr 2019/20 eine recht umfassende Überarbeitung der Lehrpläne vorzulegen. Dabei geht es vor allem um das Thema Digitale Bildung/Medienbildung, aber auch um die Stärkung der politischen Bildung, ebenfalls ein übergreifendes Thema, das viele Fächer und Schularten betrifft.

Wenn Medienbildung zukünftig in allen Unterrichtsfächern verankert sein soll, wie muss man sich das vorstellen: Haben dann alle Schüler ein Tablet oder einen Laptop?

Über die endgültige Ausbaustufe müssen wir uns noch unterhalten. Ziel soll aber sein, dass Schüler jederzeit, wenn es aus pädagogischer Sicht für den Unterrichtsverlauf erforderlich ist, Zugang zum Internet und einer digitalen Lernumgebung haben. Es geht also darum, digitale Medien und deren Nutzung zu einem unaufgeregten und selbstverständlichen Bestandteil des Lernens zu machen. Das bedeutet nicht zwingend, dass jeder Schüler auch ein Tablet oder sonstiges Endgerät haben muss. Hier haben Schulen viel Spielraum für eigene pädagogische Konzepte. In den kommenden Jahren sollen zudem alle notwendigen Bedingungen geschaffen werden, damit Schüler auch auf ihren privaten Geräten pädagogische Inhalte nutzen können, aber nicht müssen. Aber das ist nichts, was wir jetzt kurzfristig entscheiden müssen, sondern da müssen wir in die Diskussion gehen mit allen Beteiligten, mit Schulen, Lehrern, Schülern, Eltern und den kommunalen Schulträgern.

Aber haben die Lehrer derzeit – insbesondere mit den aktuellen Herausforderungen wie Quereinsteiger einzuarbeiten, Unterrichtsausfall abzudecken und die Herausforderung der Inklusion – nicht schon genug zu tun?

Lehrer stehen ohne Zweifel vor großen Herausforderungen. Dazu gehören auch eine Menge Dinge, die abseits vom klassischen Unterricht stattfinden. Deswegen führen wir auch die Diskussionen, wie wir Entlastungen an die Schulen bringen können, die auch tatsächlich vom Lehrer als solche wahrgenommen werden.

Aber wenn man den Gedanken weiterführen würde und sagen würde, die Arbeitsbelastung ist zu hoch, da geht nichts mehr, würde das im Umkehrschluss doch bedeuten, dass wir uns in den Bildungsinhalten gar nicht mehr weiterentwickeln könnten. Das darf nicht sein. Also: Wir werden natürlich Entlastungen an anderer Stelle schaffen. Aber: Ich gehe davon aus, dass die Schüler beim Thema Medienbildung eine hohe Akzeptanz aufbringen und das zu einer Offenheit bei den Lehrern führen wird. Insofern kann der Einsatz von digitalen Inhalten und Medien auch eine Entlastung für die Lehrer mit sich bringen.

Welche Funktion wird die Koordinierungsstelle zur Medienbildung der Staatsregierung übernehmen?

Über Aufbau und Struktur der Koordinierungsstelle sind wir derzeit noch in den abstimmenden Beratungen. Sie soll aber relativ schnell ans Netz gehen, damit sie schon in der Vorbereitungsphase Ansprechpartner ist.

Aktuelle Zahlen sagen, dass das Vertrauen in die Medien wieder steigt. Wie erklären Sie sich den vorangegangenen deutlichen Vertrauensverlust?

Es gibt momentan gerade im Osten Deutschlands eine große Unsicherheit und Verunsicherung, aber auch Misstrauen gegenüber den Eliten in diesem Land. Das bezieht sich nicht nur auf politische Eliten, sondern auch auf die Medien. Da haben die Medien sicherlich auch einen Teil beigetragen, in dem sie allzu deutlich ihre Position als unverrückbar hingestellt haben. Gute Medienhäuser haben aber mittlerweile erkannt, wenn etwas in der Berichterstattung nicht gut gelaufen ist oder– und das passiert jedem Mal – Recherchefehler aufgetreten sind, dass man das richtig stellt und so glaubwürdig bleibt.

Ist das Misstrauen aus ihrer Sicht ein ostdeutsches Problem?

Ich nehme es ganz stark als ostdeutsches Problem wahr. Weil die Ostdeutschen mit den Brüchen in der Biographie dort einen schwierigeren Zugang haben und sehr schnell misstrauisch werden, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen Dinge vorgegeben werden. Das sehe ich auch bei dem Thema politische Bildung und Demokratiebildung. Dort müssen wir aufpassen, dass wir nicht zu viel machen und dadurch das Gefühl entsteht, wir wollten den Leuten etwas überstülpen. Entsteht dieses Gefühl, droht sofort eine Gegenreaktion.

Sie sind Spitzenpolitiker: Was war bislang Ihre schlechteste Erfahrung mit Medien oder einem Medium?

Ich habe jetzt nicht die eine, ganz schlechte Erfahrung. Ich habe mich oft genug geärgert, wenn in medialen Berichterstattungen nicht der komplette Sachverhalt dargestellt wird, sondern wenn in einem redaktionellen Bericht eine Tendenz des Autors erkennbar ist, sich Kommentar und Bericht vermischen. Es gibt durchaus auch Beiträge, die sehr kritisch mit mir umgehen, wo ich aber sage: Da war alles drin, die Schilderung der Sachverhalte stimmt und die kritische Berichterstattung muss ich aushalten. Aber mich ärgert es, wenn andere Dinge, die nicht ins Meinungsbild passen, bewusst von Journalisten weggelassen werden. Oder wenn es eine überhöhende Darstellung einzelner Aspekte eines Sachverhalts gibt. Anderseits: Für mich sind das Kleinigkeiten, wo ich selbst weiß, wir haben es immer nur mit Menschen zu tun. Und ich weiß: Politiker neigen auch dazu, zu vereinfachen. Das lässt sich auch nicht immer vermeiden – weder auf der einen noch der anderen Seite.

Das Interview ist erschienen in KLASSE, Ausgabe 1/2018. Das Magazin für Schule in Sachsen kann hier bestellt werden.

 

Dirk Reelfs, Pressesprecher im Sächsischen Staatsministerium für Kultus

4 Kommentare

  1. Computerfan 6 Jahren vor

    Seit 2004 arbeiten wir in unserer Grundschule mit Interaktiven Tafeln. Das Computerzimmer besteht schon seit den neunziger Jahren. Dieses wurde auch bereits einmal mit neuer Hardware und aktueller Software ausgestattet. Die Generation der Tafeln sowie die dazugehörigen Beamer sind mittlerweile ins Alter gekommen. Wer arbeitet in Verwaltungen denn mit 14 Jahre alten Computern? Nur ist das für die Kommune eine teure Angelegenheit, hier zu erneuern. Die Wartung und Aktualisierung von Hard- und Software ist auch eine weitere Kostenfrage, die nicht jeder Verantwortliche in den Gemeindeverwaltungen als notwendig erachtet. Wandtafeln und Kreide gibt es ja auch schon etwas länger…! Und die kann man heute noch verwenden.

  2. Rainer Werner 6 Jahren vor

    Die Vorhaben bezüglich Medienbildung und Digitalisierung sind m. E. zu begrüßen. Nur sie kommen viel zu spät. Schon vor 6 Jahren hat die Kultusministerkonferenz einen Beschluss zur Medienbildung gefasst, nachzulesen unter http://www.kmk.org. Eigentlich müsste man nur mal die Vorgänger im Amt des Kultusministers befragen: Vor 4 Jahren hat Frau Kurth sehr medienwirksam das Projekt „Klassenzimmer der Zukunft“ gestartet, hier nachzulesen im Medienservice. Schon damals titelte die TU Chemnitz auf ihrer Homepage „Sachsens entschleunigter Weg zum Klassenzimmer der Zukunft“. Die aktuelle SMK Konzeption „Medienbildung und Digitalisierung in der Schule“ trägt das Datum Oktober 2017. Papier ist aber bekanntlich geduldig. Was zählt, „ist auf dem Platz“ sprich in der Schule. Das Gymnasium, in dem ich unterrichte, verfügt in 7 Unterrichtsräumen über einen Internetanschluss bei rund 700 Schülerinnen und Schüler. Ein W-LAN Versuch des Schulträgers scheiterte kläglich. Mein Gymnasium steht in Chemnitz. Also wozu dann Tablets anschaffen? Inzwischen lernen wir Lehrer halt von unseren Schülern …

    Und noch ein Wort zur „Entlastung der Lehrer“ durch die Einführung digitaler Inhalte und Medien. Gegenwärtig fahren wir zweispurig: Unterrichtsvorbereitung „analog“ und „digital“, je nachdem, wo man gerade unterrichten darf. Kommunikation per Papier und Portal, je nachdem, ob Einverständniserklärungen vorliegen oder nicht, Archivierung von Zensuren digital und auf Karteikarten usw. Manchmal tröstet es , wenn man sieht, dass es in anderen Bereichen nicht viel besser ist. Neulich z. B. war ich beim Arzt …

    • Autor
      Dirk Reelfs - SMK 6 Jahren vor

      Sehr geehrter Herr Werner,
      sicher haben Sie Recht, dass man in der Medienbildung schon weiter sein könnte. Und manchmal schlägt man auch Wege ein, die sich später als wenig nachhaltig erweisen. Aber zu spät sind wir nicht. Sie verweisen auf die Kultusministerkonferenz (KMK). Nachdem die KMK unter der Leitung der Länder Schleswig-Holstein und Sachsen ein Strategiepapier zur Bildung in der digitalen Welt erarbeitet und Ende 2016 verabschiedet hatte, legte Sachsens Kultusministerium Anfang 2017 den Entwurf einer Konzeption „Medienbildung und Digitalisierung in der Schule“ vor. Damit setzt der Freistaat Sachsen die KMK-Strategie für Schulen landesspezifisch um. Mit dem Ziel die Medienbildung zu stärken, werden jetzt die Lehrpläne überprüft und gegebenenfalls überarbeitet. Ab dem Schuljahr 2019/2020 sollen sie Grundlage für die Medienbildung an Sachsens Schulen sein. Somit ist zu befürchten, dass die pädagogische Umsetzung deutlich schneller läuft als die technische. Derzeit verfügen 60 Prozent der Schulen in Sachsen entweder über keine VDSL-Anschlüsse oder die Übertragungsraten liegen unterhalb der 50 MBit/s. Damit lässt sich noch keine digitale Schule machen.

  3. Praxis 6 Jahren vor

    Grundsätzlich ist die Arbeit mit Medien heutzutage ein wichtiger Bestandteil der Lehr-und Lernarbeit.Aber die Bedingungen müssen stimmen.28 Schüler und 16 Computer und eine Lehrkraft.Das kann nicht sein- die räumlichen,ausstattungstechnischen und personellen Bedingungen müssen für eine gute Umsetzung auch gegeben sein.