Am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Nossen erwerben alle Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klassen den Medienführerschein. Warum das mehr ist als nur eine Unterrichtseinheit – und wie damit Prävention, Medienbildung und Elternarbeit zusammenkommen.
Von Antje Tiefenthal
Ein Mittwochvormittag im Klassenraum der 6.1. Die Schülerinnen und Schüler lesen auf dem Whiteboard die Schlagzeile: »Minus 40 Grad in Deutschland! Meteorologen warnen vor extremer Kälte«. Fast wie aus der echten Nachrichtenwelt – und doch: Die gesamte Klasse steht auf. Fake News. Richtig erkannt. »Was sind eigentlich Daten?«, fragt Lehrer David Krüger zu Beginn der Stunde. »Informationen!«, antwortet Sophie ohne zu zögern. Wenig später geht es um ein KI-generiertes Bild aus dem Gazastreifen. Finn und Martin stehen auf, analysieren das Bild direkt am Whiteboard. Sie entdecken erste Hinweise auf eine Fälschung. »Die KI wird immer besser«, murmelt einer. Dann sind sich beide sicher: ein Fake.

Szenen wie diese sind Teil eines besonderen Projektes des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Nossen: Seit dem Schuljahr 2019/20 gehört der Medienführerschein dort fest zum Präventionskonzept der Schule. Alle Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klassen durchlaufen verpflichtend eine zweijährige Workshopreihe – durchgeführt und mitentwickelt von Schulsozialarbeiterin Susann Horn und ihrem Kollegen David Krüger.
Ein Teil von etwas Größerem
»Unsere Aufgabe ist nicht nur, Kinder auf Abschlüsse vorzubereiten, sondern auf das Leben«, sagt Schulleiter Dr. Bert Xylander. Genau darum geht es im umfassenden Präventionskonzept des Gymnasiums in Nossen: Es gibt Workshops zur Ernährung, zu Alkohol- und Drogenprävention, psychischer Gesundheit und zur Aufklärung – und eben auch zum Umgang mit digitalen Medien. »Die Gefahren, die das Internet und die sozialen Medien mit sich bringen – davor müssen wir Familien schützen«, sagt Bert Xylander. »Kinder wachsen heute digital auf. Wir Erwachsenen sind oft überfordert davon, was ihnen dort begegnet.«

Die Workshops finden im wöchentlichen Wechsel für jeweils eine der acht 5. und 6. Klassen statt – so kommt jede Klasse im Acht-Wochen-Rhythmus dran. Daraus ergibt sich ein kontinuierlicher Lernprozess – mit Themen wie Datenschutz, Fake News, Medienkonsum, Cybergrooming oder KI. »Die Kinder arbeiten in Teams, machen Faktenchecks, diskutieren über Social Media oder reflektieren ihren eigenen Medienalltag«, erklärt Susann Horn. Am Ende der 6. Klasse steht eine Prüfung – wer besteht, erhält den Medienführerschein.
Handy nur mit Führerschein
Dass das Ganze auch praktische Konsequenzen hat, zeigt ein Blick auf die schuleigene Handyregelung: Wer den Medienführerschein hat, darf ab Klasse 7 das Smartphone in klar geregelten Bereichen nutzen – und dies erst nach Unterrichtsende. »Wir wollten mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam einen verantwortungsvollen Umgang entwickeln«, so Bert Xylander. Das klappte gut – bis heimlich gemachte Aufnahmen von Lehrkräften plötzlich alles infrage stellten. Eine schwierige Debatte folgte, mit Elternrat, Schülerrat und Kollegium. Inzwischen gilt: Handy-Nutzung erst ab Klasse 10 – und nur in den Pausen, nicht in den Gängen. Schülerinnen und Schüler ab Klasse 7 dürfen das Handy nach Schulschluss nutzen – zum Beispiel, wenn sie auf den Schulbus warten. Für Kinder der 5. und 6. Klassen gilt: kein Handy.
»Alle Kinder haben ein Handy, und viele haben lange Schulwege. Sie wollen und müssen erreichbar sein – das verstehen wir. Aber Schule muss auch ein Schutzraum sein«, sagt Bert Xylander. Deshalb ist der Medienführerschein mehr als ein Unterrichtsprojekt. Er ist Ausdruck einer Haltung: aufklären statt verbieten.
Elternarbeit als Schlüssel
Ein zentraler Bestandteil sind deshalb Elternabende, bei denen nicht nur informiert, sondern auch diskutiert wird. »Wir erleben, dass viele Eltern überfordert sind – nicht nur bei Medienfragen, sondern auch bei Themen wie Drogen oder psychischer Gesundheit«, so Schulsozialarbeiterin Susann Horn. »Inzwischen reglementieren viele stärker. Einige kontrollieren jetzt aktiv die Bildschirmzeit ihrer Kinder oder lassen neue Apps nur noch mit Passwortfreigabe zu.« Dass das Projekt wirkt, zeigt sich für die Sozialarbeiterin auch an anderer Stelle: »Die Kinder kommen von sich aus zu mir. Sie erzählen, wenn ihnen etwas auffällt, wenn sie unsicher sind. Das Vertrauen ist gewachsen.«
Ob der Medienführerschein verhindert, dass Kinder TikTok nutzen oder in Kontakt mit problematischen Inhalten kommen? Wahrscheinlich nicht. »Wenn wir unsere Schülerinnen und Schüler dazu bringen, in entscheidenden Momenten innezuhalten und nachzudenken, bevor sie handeln, dann haben wir schon viel erreicht«, sagt der Schulleiter. Lehrer David Krüger formuliert es so: »Es geht nicht darum, dass die Kinder alles auswendig wissen. Sie sollen wissen, wo sie verlässliche Informationen finden, und verstehen, dass sie nicht allein sind und jederzeit Hilfe bekommen.«
Über den Medienführerschein
Seit dem Schuljahr 2019/20 ist der Medienführerschein Teil des schulischen Präventionskonzeptes. Alle Schülerinnen und Schüler der 5. Und 6. Klassen absolvieren über zwei Jahre hinweg eine Workshopreihe, die Themen wie Datenschutz, Fake News, Social Media, KI, Cybergrooming und Cybermobbing behandelt. Der Medienführerschein ist ein Baustein des umfassenden Präventionsangebotes der Schule, das sich unter anderem auch mit Ernährung, Aufklärung, psychischer Gesundheit und Drogenkonsum beschäftigt.
Am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Nossen lernen aktuell rund 730 Schülerinnen und Schüler. Das Motto des Gymnasiums: »Gemeinschaft – Leistung – Lebensfreude«.
