„Nicht die Schulstruktur, sondern die Qualität des Unterrichts ist für den Lernerfolg entscheidend“

„Nicht die Schulstruktur, sondern die Qualität des Unterrichts ist für den Lernerfolg entscheidend“

Beim IQB-Bildungstrend 2018 schnitt Sachsen erneut sehr gut ab. Wir sprachen mit Prof. Dr. Petra Stanat, Herausgeberin des Ländervergleichs, über die Gefahr von Strukturreformen, den Wert von Kontinuität im Schulsystem und Hausaufgaben für Sachsen.

Beim aktuellen IQB Ländervergleich liegen Sachsen und Bayern vorn. „Dass diese beiden Länder so robust dastehen, liegt vielleicht auch daran, dass diese Länder so wenig an ihren Schulsystemen herumexperimentieren“, sagten Sie bei der Vorstellung der Ergebnisse. Warum ist Kontinuität Ihrer Ansicht nach so wichtig für die Leistungsfähigkeit eines Schulsystems?

Prof. Dr. Petra Stanat: In der Gesamtschau weisen die Ergebnisse nationaler und internationaler Studien der Bildungsforschung darauf hin, dass nicht die Schulstruktur, sondern die Qualität des Unterrichts für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern entscheidend ist. Schulstrukturelle Veränderungen sind immer mit erheblichem Aufwand verbunden und können Ressourcen binden, die dann nicht mehr für die Weiterentwicklung von Unterrichtsqualität zur Verfügung stehen. Daher die These, dass die schulstrukturelle Stabilität in Bayern und Sachsen möglicherweise ein Grund dafür ist, dass diese Länder in unseren Ländervergleichs- und Bildungstrendstudien unverändert gut dastehen. Wobei sich die Schulstrukturen dieser beiden Länder ja durchaus unterscheiden, mit Dreigliedrigkeit in Bayern und Zweigliedrigkeit in Sachsen. Auch dies ist ein Hinweis dafür, dass man mit unterschiedlichen Schulstrukturen zu guten Ergebnissen kommen kann.

Anders gefragt: Wenn Länder sich entscheiden, Schulstrukturen zu verändern, könnte dadurch die Leistungsfähigkeit eines Schulsystems leiden oder gar gefährdet sein?

Stanat: Ob die Leistungsfähigkeit des sächsischen Schulsystems durch die Einführung einer neuen Schulart gefährdet wird, ist schwer zu sagen. Das dürfte von der Umsetzung dieser Veränderung abhängen. In den letzten 10 Jahren haben ja mehrere Länder schulstrukturelle Reformen durchgeführt, die nicht unbedingt zu Einbußen im Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler geführt haben. Allerdings geht die Tendenz deutschlandweit eher dahin, die Anzahl der Schularten zu reduzieren und Zweigliedrigkeit einzuführen, die in Sachsen ja bereits existiert. Mir persönlich ist nicht klar, warum man den Aufwand betreiben will, eine weitere Schulart einzuführen, zumal in einer Zeit, in der aufgrund des Lehrkräftemangels in Sachsen erhebliche Herausforderungen zu bewältigen sein werden. Will man weiterhin gute Lernergebnisse erzielen, wird es vor allem darauf ankommen, die Qualität des Unterrichts zu sichern – darauf sollte das Hauptaugenmerk liegen.

Kritiker von Leistungsvergleichen, wie den IQB-Bildungstrend, sagen, schulische Bildung auf abfragbare Leistungen zu verengen, vernachlässige Wertevermittlung und Persönlichkeitsbildung. Teilen Sie die Kritik?

Stanat: Diese Kritik greift meines Erachtens zu kurz. Erstens erfassen die IQB-Tests nicht einfach nur Wissensbestände, sondern Kompetenzen in Kernbereichen schulischer Bildung, und es dürfte weitgehend unumstritten sein, dass solche Kompetenzen wie Leseverstehen oder die Nutzung von Mathematik zur Lösung von Problemen für Teilhabe wichtig sind. Zweitens schließen sich die Förderung kognitiver Kompetenzen einerseits und Wertevermittlung sowie Persönlichkeitsbildung andererseits nicht aus. Im Gegenteil: Die Forschung zu multipler Zielerreichung in Schulen weist eher darauf hin, dass diese beiden Aspekte oft Hand in Hand gehen.

Sachsen will sich auf seinen Lorbeeren nicht ausruhen. Wo liegen die besonderen Herausforderungen – woran muss Sachsen noch arbeiten?

Stanat: Auch für Sachsen weist der IQB-Bildungstrend 2018 ja in der Tendenz auf ungünstige Entwicklungen in den erreichten Kompetenzen hin, die in einzelnen Bereichen signifikant sind. Hier stellt sich die Frage, was man gegebenenfalls tun sollte, um dieser Tendenz entgegenzuwirken. Gerade auch angesichts des Lehrkräftemangels könnte dies eine besondere Herausforderung darstellen. Und bemerkenswert ist ferner, wie sächsische Schülerinnen und Schüler ihren Mathematikunterricht einschätzen. Auf der einen Seite scheint der Mathematikunterricht in Sachsen störungsfreier, strukturierter und kognitiv aktivierender zu verlaufen als in Deutschland insgesamt. Auf der anderen Seite fühlen sich die sächsischen Schülerinnen und Schüler von ihren Mathematiklehrkräften aber deutlich weniger unterstützt als Schülerinnen und Schüler bundesweit – die Werte für Fehlerkultur (respektvoller, geduldiger Umgang mit Fehlern) und Schülerorientierung (individuelle Unterstützung und Begleitung beim Lernen) fallen unterdurchschnittlich aus. Dies sollte man sich genauer anschauen und diskutieren.

Was sind die wichtigsten Faktoren für ein erfolgreiches Schulsystem?

Stanat: Diese Frage lässt sich so einfach nicht beantworten, denn die nationalen und internationalen Schulleistungsstudien weisen darauf hin, dass unterschiedliche Systeme erfolgreich sein können. Ganz wichtig ist aber sicherlich der Fokus auf das Kerngeschäft von Schule: Unterricht. Die Forschung zu Unterrichtsqualität zeigt, welche Faktoren hierbei wichtig sind: Unterricht sollte möglichst störungsfrei verlaufen, die Schülerinnen und Schüler konstruktiv unterstützen und sie kognitiv aktivieren. Es hat sich gezeigt, dass diese Basisdimensionen der Unterrichtsqualität nicht nur mit der Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler zusammenhängen, sondern auch mit solchen motivational-emotionalen Merkmalen wie fachbezogenem Interesse und Lernfreude. Für die Weiterentwicklung von Schule und Unterricht ist es hilfreich, ein gemeinsames Verständnis von Qualität zu haben, auf das sich alle Akteure im System beziehen, und Feedback darüber bereitzustellen und zu nutzen, inwieweit die jeweiligen Qualitätsziele erreicht werden. Die IQB-Bildungstrends und die Vergleichsarbeiten können dabei wichtige Bausteine bilden, wenn sie in ein System von aufeinander abgestimmten Maßnahmen der Qualitätsentwicklung eingebunden sind.

Trotz des guten Abschneidens der sächsischen Mädchen sind Frauen in den MINT-Berufen noch immer in der Unterzahl: Wie können vor allem Mädchen noch stärker gefördert und für diese Berufe gewonnen werden?

Stanat: Im MINT-Bereich klaffen die Ergebnisse der Mädchen und Jungen für Leistungen einerseits und für motivationale Merkmale andererseits erheblich auseinander. In Mathematik zum Beispiel sind die Mädchen den Jungen in ihren Leistungen kaum noch unterlegen, sie sind aber deutlich weniger überzeugt davon, in diesem Fach gut zu sein. Noch extremer ist die Diskrepanz in Physik. Und auch das Interesse an diesen Fächern ist bei den Mädchen deutlich geringer ausgeprägt als bei den Jungen. Dies hat natürlich Folgen für die Berufswahl – wenn ich nicht dran glaube, dass ich im MINT-Bereich gut bin und mein Interesse daran gering ist, werde ich wenig geneigt sein, einen Beruf in diesem Bereich zu wählen. Wir müssen also noch stärker daran arbeiten, die MINT-Fächer für die Mädchen attraktiver zu machen und ihrem Image entgegenzuwirken, dass es sich dabei um Jungenfächer handelt.

Zur Person: Prof. Dr. Petra Stanat ist Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist Herausgeberin des IQB Bildungstrends – ein Ländervergleich, der die Kompetenzen der Neuntklässler in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften erhebt.

Die sächsischen Ergebnisse beim IQB-Bildungstrend 2018 gibt es hier.

 

Dirk Reelfs, Pressesprecher im Sächsischen Staatsministerium für Kultus

3 Kommentare

  1. Arnold 4 Jahren vor

    Ich finde richtig, dass die Qualität der durch Schule organisierten und im Unterricht inszinierten Lernprozesse wichtig sind. Die Profession der Lehrer ist dabei wichtigstes Merkmal fürs Gelingen. Den Schluss daraus zu ziehen, dass Schulstrukturen keinen Einfluss haben, ist für mich nicht schlüssig. Unser dreigliedriges Schulsystem, bestehend aus Oberschule, Gymnasium und Förderschule, würde ich ebenfalls nicht auf zweigliedrig verkürzen, zumal die Förderschulen inzwischen mancherorts Hauptschulabschlüsse anbieten.
    Schlaue Kinder in Sachsen und Bayern erfreut das Land. Meine Theorie ist, dass unser Land mit drei Universitäten und traditionell einer breiten Industrie auch entsprechende Familien mit hohem Bildungsanspruch seit Jahrhunderten ins Land „gelockt“ und gestärkt hat. Dieses Pfund können wir in den Leistungstests regelmäßig ausspielen.

  2. Praxis 4 Jahren vor

    Hoffentlich können wir diesen Standard auch noch lange halten,denn in unsere Schule (Oberschule) kommt selten ein Referendar/ eine Referendarin für Mathematik, Physik, Chemie oder Biologie.Gibt es da eine Statistik, wie viele diese Fächer zurzeit studieren?

    • Lynn Winkler - SMK 4 Jahren vor

      Liebe Nutzerin,

      herzlichen Dank für die Nachfrage. Im Lehramtsstudium wurden in der amtlichen Hochschulstatistik im Wintersemester 2018/2019 12.418 Belegungsfälle in den zu studierenden Studienfächern (bei 5.869 Lehramtsstudierenden) im Freistaat Sachsen registriert.

      Für die angefragten Studienfächer sieht die Belegung für alle Lehrämter wie folgt aus:

      Mathematik: 1.440 (darunter 338 Fälle auf das Lehramt an Oberschulen)
      Physik: 601 (darunter 114 Fälle auf das Lehramt an Oberschulen)
      Chemie: 420 (darunter 82 Fälle auf das Lehramt an Oberschulen)
      Biologie: 459 (darunter 174 Fälle auf das Lehramt an Oberschulen).

      Einen schönen Nachmittag
      Lynn Winkler