Neurowissenschaftlerin Maren Urner erklärt im Interview, welche Folgen die tägliche Medienflut auf Schülerinnen und Schüler hat. Sie zeigt Wege auf, wie Lehrkräfte darauf reagieren können, um die Kinder und Jugendlichen zu stärken.
In der Medienwelt lassen sich einige Trends beobachten – klassische Medien verlieren an Bedeutung und Glaubwürdigkeit, soziale Medien sind überpräsent, die Flut an negativen Nachrichten scheint unaufhaltsam. Was macht das mit den Schülerinnen und Schülern?
Vieles! Ich versuche ein paar Aspekte zu nennen. Zunächst ist da die Dauerverfügbarkeit. Durch das Internet und Smartphones entsteht ein ständiger Druck, verbunden mit Fragen wie: Was könnte ich gerade verpassen? Wann reagieren Freundinnen und Freunde auf meinen Post, meine Story, mein Video? Studienergebnisse zeigen, dass bereits die Anwesenheit eines Smartphones dafür sorgt, dass es einen Teil der Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Dadurch fällt es gerade jungen Menschen – bei denen bestimmte Hirnbereiche noch nicht vollständig ausgebildet sind – schwer, sich auf eine Sache wirklich zu konzentrieren. Gleichzeitig korrelieren lange Nutzungszeiten sozialer Medien ironischerweise mit Gefühlen von Einsamkeit und psychischen Krankheiten wie Depressionen.
Hinzu kommt, dass die erwähnte Negativität das Verhalten des sogenannten »Doomscrolling« begünstigen kann. Gemeint ist damit ein suchtartiges Konsumieren von negativen Nachrichten, was wiederum zu einem zu negativen Weltbild und Hilflosigkeit in dieser entscheidenden Lebensphase führen kann.
Wie kann man Schülerinnen und Schüler resilienter machen gegen die Medienflut, die auf sie einprasselt? Welche ganz konkreten, praxisnahen Ideen haben sie?
Der wichtigste Punkt ist hier tatsächlich – und es klingt einfach, ist es aber nicht – ein bewusster Umgang mit der eigenen Aufmerksamkeit. Sprich, es geht darum, eine Sensibilität dafür zu entwickeln, wann und wie ich als Schülerin oder Schüler mit der Fülle an Informationen umgehe. Das geht am besten im ehrlichen und respektvollen Austausch mit anderen. Um diesen leisten zu können, benötigen Eltern und Lehrkräfte nicht nur ein Wissen über die aktuell angesagten Plattformen, Apps und Angebote, sondern vor allem auch eine emotionale Reife, die es ihnen erlaubt, die Beweggründe hinter der Mediennutzung der Schülerinnen und Schüler zu erfragen und zu adressieren. Ganz praktisch geht es am Anfang und Ende immer um Gewohnheiten, die Kinder (und Erwachsene) am besten spielerisch erlernen können. Beispielsweise kann ein Spiel daraus entstehen, zu testen, wer bei einer Verabredung am längsten nicht auf sein Handy schauen kann – wer »verliert«, muss vielleicht ein Eis ausgeben oder einen anderen »Einsatz« liefern.
Was kann und sollte aus Ihrer persönlichen Sicht Schule hier leisten – und was ist nicht die Aufgabe der Schule?
Die Schule kann ein Ort sein, an dem die genannten Gewohnheiten »vorgeschlagen« und »eingeübt« werden. Das mag ein wenig technisch klingen, ist aber ein ganz wichtiger Aspekt, da die Schule ein wichtiger sozialer und kommunikativer Ort ist. Sprich, hier geht es viel darum, was »normal« ist, wer »dazu gehört« und welcher Umgang mit dem Smartphone, Internet und sozialen Medien »richtig« ist. Dabei ist es zentral, die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler und ihre Lebenswelt(en) zu berücksichtigen und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu agieren. Das wird im Zweifel das Gegenteil eines bewussten Umgangs bewirken.
Wie kann man Schülerinnen und Schüler dafür begeistern, dass sie die klassischen journalistischen Medien nicht aus den Augen verlieren?
Auch hier spielen verschiedene Akteure eine wichtige Rolle. Natürlich müssen die klassischen Medien Inhalte und Formate anbieten, die junge Menschen erreichen und berühren. Dabei ist in der Vergangenheit viel »falsch« gelaufen, weil beispielsweise »für die jungen Leute« von »alten« Leuten produziert wurde – das Jugendwort »cringe« trifft auf viele der so entstandenen Ergebnisse zu.
Dann gilt es natürlich auch zu Hause klassische journalistische Medien zu nutzen, sprich sie als »normal« in den Alltag zu integrieren. Das muss nicht immer die Tagesschau sein, aber auch hier sind insgesamt gemeinsame Routinen mit journalistischen Angeboten von Qualitätshäusern wichtig.
Und – last but not least – kommt auch den Schulen eine entsprechende Rolle zu. Welche Quellen und Medien werden im Unterricht benutzt? Und welche Beiträge dabei analysiert und zitiert? Haben sie einen Bezug zum Alltag der Schülerinnen und Schüler? Dazu eine persönliche Anekdote zum Abschluss: Ich habe das gedruckte Magazin »TIME« durch meinen Englischlehrer in der Oberstufe kennengelernt und es seit meiner Studienzeit im Abo.
Zur Person
Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und seit 2019 Professorin für Medienpsychologie an der Media University of Applied Sciences in Köln. Ihre drei Bücher »Schluss mit dem täglichen Weltuntergang« (Droemer 2019), »Raus aus der ewigen Dauerkrise« (Droemer 2021) und »Radikal emotional: Wie Gefühle Politik machen« (Droemer 2024) sind SPIEGEL-Bestseller. Sie ist Preisträgerin des B.A.U.M. Umwelt- und Nachhaltigkeitspreises 2023 in der Kategorie Wissenschaft. Zum 1. September 2024 hat sie den Ruf als Professorin für nachhaltige Transformation an der FH Münster angenommen und wird Studiengangsleiterin des neuen Master-Studiengangs »Nachhaltige Transformationsgestaltung«.
Text: Antje Tiefenthal
Foto: Lea Franke