Beleidigungen im Klassenchat

Beleidigungen im Klassenchat

Cybermobbing ist auch in Sachsens Schulen Thema. Das Lessing Gymnasium Döbeln verfolgt eine ganz eigene Strategie dagegen.

Text: Jana Mundus

Es ist kein schönes Foto. Eine etwas schräge Pose, das Gesicht eher unvorteilhaft erwischt. Irgendjemand hat es heimlich gemacht, als der Schüler vorhin ins Zimmer gekommen ist. Aber jetzt haben es alle. Und alle lachen darüber. Sie tuscheln, sie schauen zu ihm rüber, sie kichern – sie grenzen aus. Der Aufgenommene fühlt sich unwohl. Er kann nur erahnen, was da vor sich geht. In einer Chatgruppe der Klasse, zu der er keinen Zugang hat, haben sie das Bild von ihm verteilt. Dies passiert nicht zum ersten Mal, denn Demütigung ist ein alltägliches Phänomen im Internet. Mobbing im World Wide Web. Auch an Sachsens Schulen ist das Thema.

Foto: André Braun

Der offene Umgang mit Cybermobbing – manch eine Schule hat damit vielleicht noch ein Problem. Wie klingt das für Eltern, die ihre Kinder auf diese Schule schicken wollen? Was wenn die örtlichen Medien darüber berichten? Michael Höhme ist keiner, der um ein problematisches Thema lange herumredet. »Cybermobbing gibt es bei uns. So wie an jeder anderen Schule auch«, sagt der Schulleiter des Lessing-Gymnasiums in Döbeln. Während der Unterrichtszeit herrscht Handyverbot an der Einrichtung. Aber auch wenn die Jugendlichen vor allem nach dem Unterricht ihre Zeit in Chats verbringen, sei das Problem kein privates. »Wir können uns nicht zurücklehnen und sagen, das geht uns nichts an«, erklärt er weiter. Die Themen der Jugendlichen drehen sich auch im Privatleben um die Schule, die Klasse oder Mitschüler. »Das macht Cybermobbing heute zu einem Schulproblem.«

Chatpolizisten warnen bei Verstößen

Susann Gasse weiß, was das konkret bedeutet. Die Sozialpädagogin arbeitet als Schulsozialarbeiterin am Lessing-Gymnasium. In den vergangenen Jahren haben Schüler und Schülerinnen immer wieder ihre Hilfe gesucht, wenn sie Opfer von Cybermobbing geworden sind. In den jüngeren Klassen funktioniere das Ausgrenzen vor allem über die Chatgruppen, in denen sich die Kinder bewegen. »Da werden dann immer wieder neue Gruppen gegründet, um andere gezielt außen vor zu lassen«, erzählt sie. Fotos von jemanden, der nicht beliebt ist, werden verteilt. Oder auch Informationen im Klassenchat absichtlich zurückgehalten oder dort Anfragen der Mobbing-Opfer einfach ignoriert. »Im Vier-Augen-Gespräch überlegen wir in solchen Fällen zusammen, wen wir für die Problemlösung dazu holen möchten«, erklärt Susann Gasse. Die Klassenleitung, die Eltern, die Täter oder sogar die Eltern derjenigen, die demütigen.

Foto: André Braun

Viele Eltern seien überrascht, was ihre Kinder da tun oder womit sie konfrontiert sind. Für Michael Höhme ist es immer wieder erstaunlich, wie naiv bei solchen Gesprächen die Täter selbst sind. »Vielen ist gar nicht bewusst, was sie ihrem Opfer psychisch antun«, sagt er. Deshalb habe sich das Lehrerteam schon vor einiger Zeit dazu entschlossen, selbst präventiv tätig zu werden. Sobald die neuen fünften Klassen ans Lessing-Gymnasium kommen, gibt es ein ganz spezielles Projekt. In den ersten zwei Wochen entwickeln die Schülerinnen und Schüler Regeln für ihren neuen Klassenchat, wählen zwei Chatpolizisten, die im Auge behalten sollen, dass sich jeder an die Regeln hält. Einige Cybermobbing-Fälle der Vergangenheit sind auch dank dieser Jugendlichen öffentlich geworden.

»Wir informieren auch die Eltern über die Regeln des Klassenchats«, sagt Susann Gasse. »Es ist wichtig sie bei all dem mitzunehmen.« Alle Akteure seien gefragt: Jugendliche, Lehrkräfte und Eltern oder externe Partner, die aufklären und beraten. Das helfe, um frühzeitig Tendenzen wahrzunehmen, Handlungsstrukturen, die entstehen können, zu stoppen und Hilfsmöglichkeiten aufzuzeigen. »Lieber einmal mehr und rechtzeitig auf das Handy des Kindes schauen, statt das Thema zu ignorieren und überrascht zu sein, wenn der Anruf der Schule kommt.«

Ganz unterbinden lässt sich Cybermobbing aber auch damit leider nicht, wissen die beiden. Es geht vor allem darum, eine umfassende Medienbildung anzubieten. »Wir wollten nicht immer nur Feuerwehr spielen«, sagt der Schulleiter. So entstand eine neue Idee am Lessing-Gymnasium. Seit diesem Schuljahr können sich Schülerinnen und Schüler ab Klasse acht für das Profil »Medienkompetenz in einer digitalisierten Gesellschaft«, kurz Medien-Profil, entscheiden. Die Hälfte der jetzigen Achtklässler hat das getan. Auch im nächsten Jahrgang ist das Interesse ähnlich stark. Es ist kein zusätzliches Unterrichtsfach, sondern eine Weiterentwicklung des gesellschaftswissenschaftlichen Profils in den Klassenstufen acht bis zehn.

Eine wesentliche Rolle spielt der kritische Umgang mit den digitalen Medien. Die Jugendlichen lernen Informationen im Netz zu suchen, zu finden und sie zu bewerten. Sie erarbeiten, wie sie im Internet kommunizieren sollten. Sie setzen sich mit rechtlichen Regelungen für das Netz auseinander, gestalten selbst Internetseiten und beleuchten die Macht der Medien. »Später wollen wir auch Medienscouts ausbilden«, so Höhme.

Susann Gasse sieht aber nicht nur die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern in dieser Sache als wichtig an. Auch die Eltern seien Teil des Problems und somit auch Teil der Lösung. Bei Informationsabenden der Schule bekommen sie einen Einblick darin, wie sie die Mediennutzung ihrer Kinder gut im Auge behalten können. »Eine kritische Distanz dem Kind und seiner Aktivitäten im Netz gegenüber ist sicherlich hilfreich«, sagt die Sozialpädagogin. Und sie appelliert an die Eltern gute Vorbilder zu sein. Mancher Elternchat der Klassen sei schon zum Problem geworden, weil dort Dinge verbreitet wurden, die wenig hilfreich für die Arbeit der Schule waren. »Wie wir da miteinander gut kommunizieren, ist eine große Herausforderung der heutigen Zeit«, macht die Sozialpädagogin deutlich.

Was ist Cybermobbing?

Das Wort Mobbing gehört mittlerweile nicht nur zum Sprachgebrauch, sondern zur Gesellschaft. Betroffene werden beleidigt, seelisch verletzt und herabgesetzt. Die meisten belastet solch eine Situation schwer. Doch viele trauen sich nicht, offen darüber zu sprechen. Das gilt auch fürs Cybermobbing. Die Täter – auch als »Bully« bezeichnet – bedrohen, beleidigen und stellen ihre Opfer in sozialen Netzwerken und mithilfe von Mobilfunkdiensten bloß. Gesucht werden dabei vor allem Opfer, die sich nur schwer gegen die Übergriffe zur Wehr setzen können. Wobei dies durch die im Netz herrschende Anonymität ohnehin schwierig ist. Überhaupt bleiben die Täter in aller Regel anonym, ganz besonders, wenn es sich um Cybermobbing gegenüber Lehrerinnen und Lehrern handelt. Nicht zu wissen, wer die Täter sind, kann Opfer zudem zusätzlich verunsichern. Auch darauf spekulieren die Bullys. Ein weiteres Problem am Mobbing im Netz ist der Fakt, dass Inhalte nur schwer zu löschen sind. Dinge, die längst vergessen scheinen, tauchen immer wieder auf und bereiten den Opfern Probleme, mit dem Thema abschließen zu können. Weitere Infos: www.klicksafe.de.

Den kompletten Beitrag können Sie in der aktuellen KLASSE, ab Seite 14, nachlesen.

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

2 Kommentare

  1. Moritz Beck 3 Jahren vor

    Ich finde es sehr gut, dass hier Verbesserungen erprobt werden. Mit welchem Messenger-System ist das hier im Beispiel umgesetzt worden? Ich hatte vor einigen Wochen am Gymnasium meines Sohnes (dort wird OPAL mehr oder eher weniger genutzt) den Nextcloud Talk vorgeschlagen, um dem WhatsApp-basierenden inoffiziellen Klassenchat (in der 5. Klasse) das Wasser abzugraben. Leider flog die Nextcloud-Talk-App beim Go-Live des Dienstes „Dateiablage“ von der Betaphase in den Produktivbetrieb raus. Ansonsten gibt es für Schulen, die OPAL nutzen, offenbar kein Angebot eines Messenderdienstes. E-Mail wird von vielen jungen Leuten nicht mehr als schnelle Unterhaltung akzeptiert, was ich vollauf verstehen kann.
    In der Grundschule meiner Tochter wurde jetzt erfolgreich LernSax eingesetzt, hier ist ja ein Messenger integriert. Aber OPAL und LernSax zusammen sind vielleicht keine gute Idee.

    • Autor
      Lynn Winkler - SMK 3 Jahren vor

      Lieber Moritz Beck,

      vielen Dank für Ihren Beitrag. Unter Schullogin werden den Schulen verschiedene – teilweise sehr unterschiedliche – Dienste zentral bereitgestellt. Welche Dienste eine Schule oder eine Klasse letztlich nutzt, kann und muss vor Ort entschieden werden, hier gibt es keine Vorgaben von uns.

      Vielleicht ein Beispiel: In einer Grundschule kann auch gut ein einfaches Etherpad in einer Klasse zur Kommunikation genutzt werden. Das ist wie ein Blatt Papier, auf dem jeder etwas notieren kann. Da muss es nicht immer OPAL Schule sein.

      Wir entwickeln Schullogin auch weiter. Dabei kann es sein, dass der eine oder andere Dienst ggf. nicht über eine Beta-Phase hinauskommt, da sich unvorhersehbare Schwierigkeiten ergeben haben. Entscheidend ist, dass der genutzte Messenger-Dienst in LernSax seinen Zweck erfüllt. Die aktuellen Nutzerzahlen der angebotenen Dienste zeigen uns, dass alle Dienste jeweils von sehr vielen Schulen genutzt werden, sodass die Entscheidung, diese Dienste anzubieten, sinnvoll war. Übrigens gibt es auch viele Schulen, deren Schülerinnen und Schüler aktuell E-Mails als Kommunikationsmittel intensiv nutzen. Was jedoch nicht heißt, dass das jeder so machen muss – aber kann.

      Herzliche Grüße
      Lynn Winkler