Der 9. November steht für die wechselvollen Wegmarken deutscher Geschichte – Teil 1

Der 9. November steht für die wechselvollen Wegmarken deutscher Geschichte – Teil 1

Der 30. Jahrestag der deutschen Einheit in diesem Jahr sowie das vielschichtige historische Datum des 9. November verdienen eine besondere Aufmerksamkeit, gerade auch in den Schulen.

Nicht zuletzt angesichts aktueller Diskussionen um eingeschränkte Freiheitsrechte und mangelndes Vertrauen in die demokratische Grundordnung ist es für Schülerinnen und Schüler als auch andere Schulakteure dringend notwendig, sich mit der eigenen Geschichte näher zu befassen und die Unterschiede von Demokratie und Diktatur zu verstehen.

Der Hessische Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz erklärte dazu im Jahr 2019 in seiner Rolle als Präsident der Kultusministerkonferenz: »Die Berliner Mauer ist Symbol für ein Unrechtsregime, das seinen Bürgerinnen und Bürgern jahrzehntelang grundlegende demokratische Rechte vorenthalten und sie im Alltag drangsaliert hat.« Das geeinte Deutschland könne sich glücklich schätzen, dass diese Zeiten mit dem Fall der Mauer ein Ende gefunden hätten. »Es erfüllt mich aber mit Sorge, wenn sich Menschen heute in der Wahlkabine zunehmend von unserem demokratischen Wertefundament abwenden. Wenn in einigen Ländern ein Drittel der jungen Wahlberechtigten zu den parteipolitischen Extremen tendiert, muss sich auch Schule die Frage gefallen lassen, ob politische Bildung im Unterricht immer ausreichend Wirkung entfaltet. Wir müssen populistischen Meinungsmachern und antisemitischen Parolen entgegentreten, wann immer sie uns in Schule und Alltag begegnen.«

Dr. Anne Kaminsky, Foto: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Im ersten Teil äußert sich Dr. Anne Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem 9. November.

Weshalb sollten sich Schülerinnen und Schüler mit dem 9. November auseinandersetzen bzw. was können sie dabei lernen?

Der 9. November ist ein ganz besonderer Tag in der deutschen Geschichte: Er steht symbolisch für die schrecklichsten und schönsten Ereignisse und Entwicklungen. Und am Beispiel des 9. November können sich Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Ereignissen in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts befassen: Von der Ausrufung der Republik 1918 über den Hitler-Ludendorff-Putsch 1923, die Pogromnacht gegen jüdische Einrichtungen und Juden 1938 bis zum Mauerfall 1989. So können Jugendliche anhand dieses vielschichtigen Datums ein Verständnis dafür entwickeln, was Erinnerungskultur ist und welche historischen Ereignisse und Prozesse unsere Gesellschaft bis heute prägen. Sie setzen sich damit auseinander, warum wir uns an bestimmte historische Daten erinnern wollen und wer sie wie erinnert. Über historische Längsschnitte zum 9. November kann das Urteilsvermögen der Jugendlichen sowie ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein gestärkt und ein Beitrag zur Demokratiebildung geleistet werden.

Welche Formate zur Auseinandersetzung mit den Ereignissen des 9. November in der deutschen Geschichte eignen sich Ihrer Meinung nach?

Aufgrund der leider zu knappen zeitlichen Ressourcen im Geschichtsunterricht bietet die Durchführung eines Projekttages an Schulen zum 9. November eine ideale Möglichkeit, der vertieften Auseinandersetzung mit der deutschen und europäischen Geschichte sowie Fragen von Demokratie, Diktatur und autoritärer Herrschaft. Die Kultusministerkonferenz hat dezidiert dazu aufgerufen, Projekttage durchzuführen. Informationen und auch Anregungen wie der Tag gestaltet werden kann, gibt es auf der Webseite projekttag-deutsche-geschichte.de. Dies kann bei der momentan schwierigen Lage für Präsenzveranstaltungen auch digital geschehen. Es kann dabei fächerübergreifend gearbeitet werden und unterschiedlichste Formate können zum Einsatz kommen: Neben historischen Quellen, wie Schriftzeugnissen, Fotos und Filmdokumenten, sind besonders Zeitzeugeninterviews und Gespräche, aber auch Recherchen an Orten, die mit diesen Ereignissen, ihren Ursachen und Wirkungen verbunden sind, geeignet, um Schülerinnen und Schüler multiperspektivisch an das Thema heranzuführen. Gerade auch die Erforschung von regionalen oder lokalen Spuren der Geschichte eignen sich, um deutlich zu machen, Geschichte ist nicht etwas, was weit entfernt irgendwo anders passiert. Auch regionale Exkursionen zu Denkmälern, Gedenkstätten, historischen Bauten eignen sich, um historische Spuren im eigenen Wohnumfeld zu erkunden.

Was haben Sie am 9. November 1989 gemacht? Welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf, als Sie realisierten, dass die Mauer offen ist?

Ich selbst war am 9. November nach Leipzig gefahren. Niemand rechnete ja damit, dass in der Nacht die Mauer und die Grenze zu West-Berlin offen sein würde. Da ich damals weder ein Radio noch einen Fernseher hatte, bekam ich gar nicht mit, was passiert war. Das erfuhr ich erst, als ich in den Betrieb ging, wo ich etwas abgeben sollte – ich habe damals freiberuflich als Übersetzerin gearbeitet, um mein Kind nicht in die staatliche Erziehung der DDR geben zu müssen. Und dort sagte man mir dann, die Mauer sei offen. Ich hielt das erst für einen Witz oder eine Provokation, um zu testen, wie ich reagierte und wenn ich „falsch“ reagierte, mich drangsalieren zu können. Aber dann stellte sich ja raus, dass es wirklich so war. Ich hatte danach nur Angst, dass die SED die Grenze wieder schließen würde, dass das nur ein Trick war, um „Dampf aus dem Kessel“ zu lassen. Aber zum Glück waren meine Befürchtungen nicht zutreffend.

In diesem Jahr feierten wir das Jubiläum 30 Jahre deutsche Einheit. Was denken Sie: Sind wir inzwischen EIN Volk?

Wir waren ja schon vorher ein Volk, auch wenn wir über 40 Jahre in zwei getrennten Staaten gelebt haben. Und wenn man sich anschaut, was in den vergangenen 30 Jahren alles erreicht wurde, dann denke ich, können wir schon stolz auf das Erreichte sein: Eine Diktatur überwunden, einen Staat demokratisiert – man darf ja nicht vergessen, dass die deutsche Einheit kam, als die DDR mitten in einem Demokratisierungsprozess mit frei gewähltem Parlament und Regierung steckte, die Umbruchszeit bewältigt und vor allem die riesigen Probleme gemeistert wurden. Aber ich sehe auch, dass die Stimmung, die in Umfragen abgebildet wird, doch auch negativ ist und das finde ich schade. Aber wir müssen auf die Ursachen schauen, wo kommt das her, dass sich noch immer 50 Prozent der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern als Bürger 2. Klasse empfinden. Das sollte nach 30 Jahren nachdenklich stimmen.

Hinweis: Mit Schuljahresbeginn 2019/20 wurde durch das Landesamt für Schule und Bildung ein Modellprojekt zum Thema »Der 9. November in der deutschen Geschichte« an sächsischen Schulen gestartet. Dabei geht es um die Planung und Realisierung von Stadtführungen zu historischen Ereignissen, die mit dem 9. November in den Jahren 1918, 1938 und 1989 verbunden sind, welche von Schulen anderer Städte und Gemeinden im Freistaat Sachsen für den eigenen Ort adaptierbar sind. Interessierte Schulen können sich an die zuständige Koordinatorin für politische Bildung am Standort Leipzig, Ute Glathe, richten: Ute.Glathe@lasub.smk.sachsen.de.

Lynn Winkler, Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

0 Kommentare

Eine Antwort hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*