Quo vadis Bildungsland Sachsen 2030

Quo vadis Bildungsland Sachsen 2030

Gerade sind 90 Fachlehrpläne überarbeitet worden. Sachsens Schüler sollen sich politisch bilden, verstärkt lernen, souverän und kritisch mit Medien umzugehen und erfahren, was Nachhaltigkeit bedeutet. Ist es damit an Veränderungen im Bildungssystem genug? Nein, schreibt Kultusminister Christian Piwarz in einem Beitrag für den Blog des Kultusministeriums.

Foto: Ronald Bonss

Bildungsexperten sind so zahlreich wie es Eltern, Großeltern, Schüler, Lobbyisten und Politiker gibt. Kein Schuljahr vergeht, ohne dass irgendwo in Deutschland der Ruf nach einem zusätzlichen Unterrichtsfach oder neuen Lehrplaninhalten ertönt. Schnell diskutiert die ganze Republik darüber, was Schule eigentlich leisten sollte oder eben nicht leistet. Als vor Jahren eine Schülerin twitterte, sie habe keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen, wurde es sofort als schweres Versäumnis der Bildungspolitik ins Stammbuch geschrieben. Mehr Wirtschaft im Unterricht, Familienkunde, Benimmregeln, Klimawandel oder wie kürzlich gefordert, Organspende – die Liste an Wünschen nach neuen Lehrplaninhalten oder Unterrichtsfächern ist groß. Dabei scheint es den Schülern schon an Grundkompetenzen zu mangeln. Abiturienten könnten nicht richtig schreiben, lesen und rechnen, klagte unlängst der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.

Die Gesellschaft neigt dazu, immer mehr Aufgaben auf den Schreibtischen der Lehrerinnen und Lehrer abzuladen. Doch Schule kann nicht der Reparaturbetrieb aller gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Probleme sein. Damit würde die Gesellschaft das „System Schule“ und alle daran beteiligten Personenkreise überfordern. Gleichwohl darf Schule kein geschlossener Kosmos sein. Ebenso wie sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen und die Anforderungen in der Berufswelt wandeln, muss sich auch Schule verändern. Natürlich muss die Bildungspolitik Antworten auf die ungelösten Fragen und Herausforderungen der Zeit finden.

So identifizierte der Aktionsrat Bildung der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft e.V. in dem 2017 erschienen Gutachten „Bildung 2030 – veränderte Welt. Fragen an die Bildungspolitik“1 zwölf große Entwicklungs- und Wandlungsprozesse unserer Gesellschaft, die Bildungssysteme in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nachhaltig beeinflussen werden und eine langfristig angelegte strategische Weiterentwicklung der Bildung auch in Sachsen einfordern: Globalisierung, Digitalisierung, Wertewandel, Strukturwandel der Berufs- und Arbeitswelt, Urbanisierung und ländliche Entwicklung, demographischer Wandel, Migration und Integration, soziale Ungleichheit und Teilhabe – diesen und anderen Megatrends muss sich auch die Bildung in Sachsen stellen.

Der Anfang dieses Jahres veröffentlichte Sächsische Bildungsbericht2, der durch das Deutsche Institut für Pädagogische Forschung unter Leitung von Prof. Dr. Kai Maaz erarbeitet wurde, zeigt Stärken und Schwächen des Schulsystems. Wie schafft es Sachsen, den nach wie vor vergleichsweise hohen Anteil von sächsischen Schülern ohne Hauptschulabschluss zu senken? Gibt es Möglichkeiten, den zum Teil sehr unterschiedlichen regionalen Entwicklungen in den Bildungsabschlüssen entgegenzuwirken? Das sind nur einige von vielen Fragen, die mit einer langfristig angelegten bildungspolitischen Strategie angegangen werden müssen.

Aus diesen Gründen habe ich zu Beginn des Jahres im Kultusministerium eine Arbeitsgruppe mit dem Vorhaben „Bildungsland Sachsen 2030“ beauftragt. Das Ministerium plant einen auf zwei Jahre angelegten Konzeptionsprozess zur Erarbeitung einer Strategie unter breiter Einbeziehung interner und externer Expertise, aus der bildungspolitische Entwicklungsziele bis 2030 ableitbar sind.

Sicher – für Sachsens Schulsystem stand und steht nach wie vor das Thema „Lehrkräfteversorgung“ im Fokus. Auch der Bedarf an Erzieherinnen und Erzieher für den vorschulischen Bereich stellt eine enorme Herausforderung dar. Dabei dürfen aber die inhaltlichen-pädagogischen Fragen der Zukunft nicht aus dem Blick geraten. Sachsen braucht einen über das Wahljahr 2019 hinausgehenden Weiterentwicklungsprozess im sächsischen Bildungssystem – ohne Denkverbote, ohne Konfusion und mit einem möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens. Es darf keine unstimmigen Einzellösungen geben. Bildungsgerechtigkeit und Leistungsfähigkeit des sächsischen Bildungssystems müssen unter den sich vollziehenden gesellschaftlichen Veränderungsprozessen erhalten und ausgebaut werden. Dabei können wir aus Erfahrungen und den Fehlern anderer Bundesländer lernen, sollten aber auch die Konzepte besonders erfolgreicher Staaten im internationalen Umfeld betrachten. Am Ende sollte keine Kopie, sondern ein sächsisches Original entstehen.

In dem Diskussionsprozess müssen wir den Mut haben grundlegende Fragen zu stellen: In welcher Gesellschaft wollen wir in Zukunft leben? Welche Rolle spielt dabei die Schule, welche Funktionen kann und sollte sie erfüllen? Wie wird Schule den Bedürfnissen junger Menschen gerecht? Welches Wissen und welche Kompetenzen benötigen Kinder und Jugendliche, um einmal später selbstbestimmt und eigenverantwortlich leben zu können?

Am 24. Juni 2019 tauschte sich eine Projektgruppe des Kultusministeriums mit Vertretern des Landesschülerrats zum Thema „Bildungsland Sachsen 2030“ aus.

Zu Themen wie „grundlegende Kompetenzen der Zukunft und die Weiterentwicklung von Curricula“, „innovative schulische Infrastruktur“, „Ausbau schulischer Eigenverantwortung“ und „Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität bei der Qualifizierung von Lehrkräften“ möchte ich gemeinsam mit den an vorschulischer und schulischer Bildung Beteiligten diskutieren. Ein Anfang ist bereits gemacht. Vor wenigen Tagen traf sich die Projektgruppe mit Vertretern des Landesschülerrates, um Themen, Fragestellungen und Hinweise für den geplanten Diskussionsprozess zu beraten.

Ab dem Spätherbst wird die Diskussion mit Lehrern, Erziehern, Schülern und Eltern, aber auch Trägern weitergehen. Ich lade alle ein, sich an dem Diskussionsprozess zu beteiligen. Sicherlich werden nicht alle Wünsche, Vorstellungen, Träume am Ende umsetzbar sein. Anderseits sagte schon Seneca: „Für ein Schiff, das seinen Hafen nicht kennt, weht kein Wind günstig.“

Ihr
Christian Piwarz
Sächsischer Staatsminister für Kultus

 

[1] Vbw-Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft e.V. (Hrsg.): Bildung 2030 – veränderte Welt. Fragen an die Bildungspolitik. Münster 2017

[2] https://schule.sachsen.de/download/download_bildung/DIPF_Bildung-In-Sachsen_Aktualisiert_5.0.pdf

Dirk Reelfs, Pressesprecher im Sächsischen Staatsministerium für Kultus

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