Interview: „Begabte Schüler stellen die richtigen Fragen“

Interview: „Begabte Schüler stellen die richtigen Fragen“

Sie ist die Leiterin der Beratungsstelle zur Begabtenförderung des Sächsischen Bildungsinstituts: Dr. Heike Petereit. Rund 250 Schülerinnen und Schüler beraten sie und ihre Mitarbeiter jährlich.
Im Interview in dem Magazin KLASSE verrät Heike Petereit, woran Lehrer überdurchschnittliches Potenzial bei ihren Schülern erkennen können und wie man diese Kinder unterstützen kann. Vorab hier ein Auszug aus dem Interview.

INTERVIEW: PETER STAWOWY, FOTO: ANDRÉ FORNER

Woran erkennt ein Lehrer eine besondere Begabung bei einem Kind?

„Gute Schüler geben die richtigen Antworten – begabte Schüler stellen die richtigen Fragen“, ist eine Beobachtung, der viele Lehrer zustimmen würden. Wobei diese Fragen so ungewöhnlich oder abwegig sein können, dass Lehrer sie als provokativ empfinden. Dabei sind die Kinder nur mit einfachen Antworten nicht zufrieden. Manche kommen sehr schnell zu richtigen Ergebnissen, nutzen aber unorthodoxe Lösungswege oder lassen diese – sehr zum Ärger der Lehrer – gleich weg. Routine- und Wiederholungsphasen im Unterricht können von solchen Schülern als Leerlaufzeiten empfunden werden. Und: Eine hohe Begabung spiegelt sich nicht immer zwingend in hervorragenden schulischen Leistungen wider. Das macht die Identifikation von besonders begabten Schülerinnen und Schülern auch so schwer.

Wie viele Hochbegabte gibt es in Sachsen?

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Dr. Heike Petereit, Leiterin der Beratungsstelle zur Begabtenförderung

Rein statistisch, sagt die Wissenschaft, sind es zwei bis maximal drei Prozent der sächsischen Bevölkerung. Wir verwenden den Begriff der Hochbegabung aber nicht gern. Wir sprechen lieber von
überdurchschnittlichem Potenzial bzw. weit überdurchschnittlichem Potenzial. Wir versuchen, mit dem Label „hochbegabt“ sehr vorsichtig umzugehen, weil das manchmal zu Missverständnissen und Belastungen führt, gerade im schulischen Kontext.

Ab wann ist es denn sinnvoll, Vermutungen über die Hochbegabung von Kindern anzustellen? Geht das erst ab der Schule los?

Unsere Zielgruppe beginnt schon bei Eltern von Kindern im sogenannten Schulvorbereitungsjahr, also der Vorschule. Testdiagnostisch gesehen ist es eigentlich erst ab einem Alter von circa fünf Jahren sinnvoll, eine halbwegs verlässliche Aussage zu treffen. Je älter das Kind dann ist, umso aussagekräftiger ist die Diagnostik. Solange sich das Kind wohlfühlt, raten wir Eltern, das Kind erst einmal in der Schule ankommen zu lassen. Wir testen ja auch nicht nur psychologisch, sondern auch aus pädagogischer Perspektive, um herauszufinden, inwieweit eine schulische Unterforderungssituation für bestimmte Auffälligkeiten ursächlich ist.

Wie kommen die Kinder zu Ihnen in die Beratungsstelle? Melden sich die Eltern oder melden sich die Lehrer?

Beides. Zunächst haben sich zuerst Eltern gemeldet. Ich war selbst überrascht: Als die Beratungsstelle 2008 gegründet wurde, hatte kaum jemand im System von uns Notiz genommen, aber die ersten Eltern hatten schon angerufen. Das zeigt, dass es eine große Nachfrage und einen gewissen Leidensdruck bei vielen Eltern gibt, die Konflikte in der Schule aus erster Hand mitbekommen und merken, dass ihre Kinder frustriert nach Hause kommen.

Was heißt das?

Dass sich die Kinder und Jugendlichen im Unterricht langweilen, abkoppeln und überhaupt keine Freude mehr am Lernen haben. Im schlimmsten Fall entwickeln sich aus solchen Verhaltensweisen dann die typischen Underachiever, also Minderleister. So werden Schüler mit gutem kognitivem Potenzial genannt, die aber schlechte Schulnoten und überhaupt keine Lust mehr zum Lernen haben, weil es ihnen keine Herausforderungen mehr bietet. Also: In erster Linie kommen nach wie vor die Eltern zu uns. Aber zunehmend, und das freut uns sehr,
werden Eltern auch durch Lehrer aufmerksam gemacht.

Was passiert dann? Wie gehen Sie vor?

Dann wird eine psychologische und pädagogische Diagnostik durchgeführt, um zu schauen, inwieweit es in der jeweiligen Schule wirklich eine Unterforderungssituation gibt. Anschließend besprechen wir mit dem Kind/Jugendlichen und/oder mit den Eltern, welche Lösungen wir uns vorstellen können. Wenn wir dann mit der Schule in Kontakt treten, wollen wir nicht, dass dort Dinge vereinbart werden, die dem Kind nichts nutzen. Das Kind soll ja motiviert werden. Deshalb hat das Kind oder der Jugendliche in dem Beratungsprozess eine sehr zentrale Rolle.

Wie offen sind die Lehrer dem Thema gegenüber? Hat sich seit 2008 schon einiges bewegt auf dem Feld?

Ja, das denke ich schon. Wobei es immer noch Vorbehalte und Unwissenheit gibt. Wir merken es auch durch die Einzelfälle. Wir sind ja in ganz Sachsen unterwegs und für alle Schulen in Sachsen zuständig. Es gibt schon immer noch Schulleiter, die sagen: „Ich weiß gar nicht, was hier los ist. Wir hatten noch nie einen Hochbegabten!“ Dann gibt es aber auch eine ganze Reihe von Schulen, die sich über unsere Netzwerkarbeit und Fortbildungen sehr intensiv mit dem Thema beschäftigen und dadurch einen ganz anderen Blick für das Thema haben.

Wie viele Fälle haben Sie aktuell? Wie viele Leute sind Sie?

Seit Gründung haben wir inzwischen annähernd 2.500 Einzelfälle in Sachsen bearbeitet, ungefähr 250 im Jahr über die Altersgruppen hinweg. Wir haben für die verschiedenen Altersbereiche in Vor-, Grund- und weiterführender Schule jeweils Pädagogen als Kontaktpersonen. Außerdem sind einige Psychologen auf Honorarbasis bei uns tätig. Der Mix aus Pädagogen und Psychologen zeichnet uns aus.

Was ist bei einem Einzelfall Ihr größter Erfolg?

Für einen Jungen in der achten Klasse war aufgrund seiner schulischen Leistungen – fünf mal Note fünf in den Hauptfächern – eigentlich schon klar, dass er auf die Mittelschule hätte gehen müssen. Allerdings wurde dann ein sehr, sehr hohes Potenzial im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich festgestellt. Wir haben ihn über viele Jahre begleitet. In der Schule selbst wurde ein Mentor gefunden – eine wichtige Stütze in diesem schwierigen Prozess. Der Junge konnte sich zunehmend entwickeln und fand sogar einen Fehler im Schultaschenrechner, den er der Firma meldete. Inzwischen hat er sein Abi mit Mathe und Physik als Leistungskurs erfolgreich bestanden und studiert nun Informatik.

Das komplette Interview wird Anfang Juni 2017 in der neuen KLASSE erscheinen.

Mehr Informationen:
Die Broschüre »Jeder zählt Begabungs- und Begabtenförderung in Sachsen« ist beim zentralen Broschürenversand erhältlich. Auf dem Bildungsserver gibt es ebenfalls viele Informationen zur Begabtenförderung an Schulen in Sachsen.

Kontakt zur Beratungsstelle:
Sächsisches Bildungsinstitut, Beratungsstelle zur
Begabtenförderung, Dresdner Straße 78 c, 01445
Radebeul
Internet: www.begabtenförderung.sachsen.de
Erstkontakt wird bevorzugt per Mail erbeten

Weitere Artikel zur Begabtenförderung im Blog:

Sachsen setzt auf Begabte

Eine Frage der Gerechtigkeit: Wir müssen auch die Leistungsstarken fördern.

 

 

Manja Kelch, Pressereferentin und Redakteurin für Social Media in der Pressestelle des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus

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