Qualität der politischen Bildung an Schulen muss sich weiterentwickeln

Qualität der politischen Bildung an Schulen muss sich weiterentwickeln

Der Sachsen-Monitor brachte alarmierende Ergebnisse ans Licht: Ein relativ hoher Anteil der jungen Menschen in Sachsen zeigt menschenfeindliche oder gar rechtsradikale Einstellungen. Damit müssen sich auch die Schulen auseinandersetzen. Einfach ist das nicht und Erfolgsgarantien kann niemand geben. Kultusministerin Brunhild Kurth schreibt im folgenden Beitrag über Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildung an Schulen.

Politische Bildung hat Möglichkeiten und Grenzen zugleich

Die Staatsministerin für Kultus des Freistaates Sachsen, Brunhild Kurth (CDU), aufgenommen am Mintag (12.01.2015) im sächsischen Kultusministerium in Dresden. Foto: Robert Michael / www.robertmichaelphoto.de *** Local Caption *** Nutzung nur gegen H o n o r a r + 7% Mwst. sowie Urhebernennung. W I C H T I G: Jegliche kommerzielle Nutzung ist H o n o r a r - und M e h r w e r t s t e u e r p f l i c h t i g ! H o n o r a r gemaess M F M. Weitergabe an Dritte nur nach vorheriger Absprache mi t dem U r h e b e r ! D a r s t e l l u n g im I N T E R N E T ist grundsaetzlich honorar und mehrwertsteuerpflichtig; auch als 1 : 1 Kopie in I N T E R N E T - Ausgaben von Tageszeitungen und Magazinen. Autoren - Nennung auch fuer I N T E R N E T - Darstellung gemaess ß 1 3 Urh Ges. A C H T U N G: Jede weitere Nutzung nach dem Erstabdruck des Bildmaterials ist ebenfalls honorar - und mehrwertsteuerpflichtig ! Verstoesse werden verfolgt ! Soweit nicht ausdruecklich vermerkt, wird die Einholung von Persoenlichkeits-, Kunst- oder Markenrechten nicht zugesichert. Die Klaerung dieser Rechte obliegt dem Nutzer.

Die Staatsministerin für Kultus des Freistaates Sachsen, Brunhild Kurth (CDU), Foto: Robert Michael

Wie wollen wir zusammenleben? Wollen wir eine Gesellschaft, die es Menschen mit unterschiedlichen Traditionen und Lebensanschauungen ermöglicht, ihre Vorstellungen und Werte zu leben ohne die anderen abzuwerten? Der Sachsen-Monitor hat darauf beunruhigende Antworten und Einstellungen gerade junger Sachsen zu Tage treten lassen. Ein relativ hoher Anteil der jungen Generation zeigte bei der repräsentativen Umfrage menschenfeindliche oder gar rechtsradikale Einstellungen. 29 Prozent der 18- bis 29-Jährigen sind der Auffassung, die Verbrechen des Nationalsozialismus würden in der Geschichtsschreibung übertrieben. Der Aussage „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ stimmen 49 Prozent der jungen Sachsen zu. „Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazi-Zeit die Opfer gewesen sind“ – diese Aussage vertreten immerhin 46 Prozent der 18- bis 29-Jährigen. Dass gerade junge Sachsen, die in einem freiheitlich-demokratischen System aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, derartige Haltungen teilen, ist alarmierend.

Qualitätsentwicklung der demokratischen Bildung nötig

Mit diesen Ergebnissen werden sich Politik, Wirtschaft, Kirchen, Vereine, aber auch Schulen intensiv auseinandersetzen müssen. Zwar wird das grundlegende politische Werteverständnis bereits im Elternhaus geprägt. Aber die Ergebnisse des Sachsen-Monitors zeigen, dass wir an Schulen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen dürfen, sondern der Qualität der politischen Bildung noch größere Aufmerksamkeit schenken müssen. Wir brauchen eine intensive Qualitätsentwicklung der demokratischen Bildung an Schulen. Die Zukunft unseres Landes hängt sowohl von mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen der heranwachsenden Generation ab, als auch von einem Kanon gemeinsamer Werte.

Einzelne Fächer können das nicht allein leisten

In dieser Situation wird meist reflexartig nach mehr Gemeinschaftskundeunterricht gerufen. Aus der Politikdidaktik, wissen wir, dass dieser Ansatz falsch ist. Politische Bildung und das Vorleben demokratischer Werte darf sich nicht auf einzelne Unterrichtsfächer beschränken, sondern muss Unterrichtsprinzip aller Fächer sein, zum Beispiel auch in der Medienbildung. Im Internet muss man sich nicht zwangsläufig mit kontroversen Meinungen auseinandersetzen, sondern kann sich verborgen hinter einer „Filterblase“ unter seines gleichen gemütlich in der „Echokammer“ einrichten. Wer so in seiner Sicht immer wieder bestärkt wird, schafft sich unverrückbare Weltbilder und denkt am Ende sogar, dass Medien lügen.

Die Demokratieerziehung und interkulturelle Bildung an Schulen muss den gleichen Stellenwert genießen wie die Vermittlung anderer Kernkompetenzen in den Unterrichtsfächern. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, wie es um die Schulkultur bestellt ist. Politische Bildung gelingt immer dann am besten, wenn sie erlebbar wird. Es macht Sinn, junge Menschen altersgemäß mehr und mehr in Entscheidungsprozesse der Schule einzubeziehen und ihnen Verantwortung zu übertragen. Das müssen Lehrerinnen und Lehrer natürlich mittragen. Eine gute, demokratische Schulkultur ist Aufgabe für alle. Sie ist zuweilen anstrengend, aber auch lohnenswert.

Aktuelle politische Diskussionen gehören in den Unterricht

Schule darf zudem kein unpolitischer Raum sein. Ich ermuntere alle Lehrerinnen und Lehrer ausdrücklich, aktuelle politische Diskussionen in das Unterrichtsgeschehen einfließen zu lassen. Die Lehrpläne bieten dafür Raum. Sie geben Unterrichtsinhalte für 30 Wochen vor. Ein Schuljahr zählt meist 40 Wochen oder mehr. Zeit für den politischen Diskurs ist also vorhanden. Um es einmal deutlich zu sagen: Kontroverse politische Themen zu diskutieren, Meinungsunterschiede auszuhalten und eigene fundierte Urteile zu bilden – all dies zu lernen und zu üben, dafür bietet Schule gute Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten. Doch möglicherweise scheuen viele aus der älteren Lehrergeneration, die noch unter dem Eindruck der ungeliebten „Staatsbürgerkunde“ aus DDR-Zeiten steht, den politischen Diskurs. Hier muss Lehrerfortbildung helfen, die demokratische Diskussionskultur an Schulen zu fördern.

Moralisieren und missionieren sind tabu

Doch wer die Ursachen für undemokratische Einstellungen allein in einer unzureichenden politischen Bildung in Schulen sieht, liegt falsch. Wer von einem Mehr an Demokratieerziehung Wunder oder gar kurzfristige Verhaltensänderungen erwartet, muss enttäuscht werden. Der politischen Bildung sind natürliche Grenzen gesetzt. Schüler sind nicht naiv. Wenn Lehrer versuchen, Schüler einseitig zu beeinflussen, wird meist das Gegenteil von dem erreicht, was man eigentlich möchte. Schüler merken, wenn ein Lehrer ausschließlich moralisiert, Fakten und Argumente einseitig und selektiv darstellt. Aus gutem Grund ist seit Jahrzehnten der sogenannte Beutelsbacher Konsens Grundlage der politischen Bildung und Ausbildung. Er verlangt von Lehrern, dass sie Schüler mit einer Sichtweise nicht überwältigen. Politiklehrer müssen sich davor hüten, selbst im Dienste einer guten Sache, Schüler zu moralisieren oder gar zu missionieren. Der Beutelsbacher Konsens fordert von Pädagogen auch, dass sie politische Problemstellungen kontrovers behandeln. Wenn etwa die Flüchtlingskrise im Unterricht thematisiert wird, dann müssen sowohl Chancen als auch Risiken von Zuwanderung klar benannt und im besten Fall diskutiert werden. Einen Unterricht, der sich nicht mit Gegenpositionen auseinandersetzt, darf es nicht geben. Mit dem Überwältigungsverbot und dem Kontroversitätsgebot grenzt sich die politische Bildung in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewusst vom Konzept des Staatsbürgerkundeunterrichts ab.

Schule ist keine Maschine

Selbst wenn sämtliche Fächer im Sinne von politischer Bildung als Unterrichtsprinzip für eine Demokratie wichtige Werte vermitteln, werden wir noch keine durchschlagenden Ergebnisse erzielen. Schule funktioniert nicht wie eine Maschine, in der man am Anfang das Richtige in entsprechenden Dosen hineinfüllt und am Ende kommen die Schüler als fertiges Produkt, ausgestattet mit den gewünschten Kompetenzen, Fähigkeiten und Werten heraus. Eine mechanische Vermittlung von Werten und Normen, degradiert die Schüler zu Objekten. So gelingt es nicht, dass aus Schülern einmal mündige Bürger werden. Demokratieerziehung an Schulen kann nur Früchte tragen, wenn sie mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement im Umfeld von Schule einhergeht. Staat und Gesellschaft müssen in ihren Institutionen, Regelungen und ihrem Handeln demokratische Werte sichtbar machen. Die Schule verantwortet nur einen Teil des Sozialisationsprozesses. Wie sehr die Sozialisation junger Menschen auch vom privaten Umfeld geprägt wird, darauf deuten auch Ergebnisse aus dem Sachsen-Monitor. Auffällig sind starke regionale Unterschiede in den Antwortmustern in Leipzig, Dresden und Chemnitz. Die Parteienbindung ist in Leipzig mit 43 Prozent deutlich höher als in Chemnitz (24 Prozent). Die Bereitschaft zur politischen Partizipation und Initiative ist in Leipzig ebenso höher als in Chemnitz oder Dresden. 30 Prozent in Leipzig schließen es aus, sich an einen Politiker zu wenden, in Dresden sind es 47, in Chemnitz sogar 49 Prozent. Diese Ergebnisse zeigen, Schule allein macht noch keine bessere Gesellschaft.

 

Brunhild Kurth

Sächsische Staatsministerin für Kultus

Hinweis: Der Beitrag ist in der „Sächsischen Zeitung“ vom 10. Dezember 2016 erschienen.

Sächsische Staatsministerin für Kultus seit 2012

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