„Am Ende war ich die Bildungstante“ – Bildungsredakteurin Carola Lauterbach geht in den Ruhestand

„Am Ende war ich die Bildungstante“ – Bildungsredakteurin Carola Lauterbach geht in den Ruhestand

Nach über 25 Jahren geht Carola Lauterbach, Redakteurin bei der Sächsischen Zeitung, in den Ruhestand. Mit ihr verlässt eine profilierte Bildungsexpertin die journalistische Bühne – aber nicht ganz, wie sie uns im Interview verrät. Wir sprachen mit Carola Lauterbach über Umbrüche im Schulsystem, schmerzliche Einschnitte bei Schulen und journalistische Fehlentwicklungen.

SMK-Blog: Frau Lauterbach, Ihren Abschied aus dem Berufsleben gaben Sie Ihren Kollegen und Wegbegleitern in einem berührenden Brief bekannt. Welche Reaktionen gab es?Foto Frau Lauterbach

Carola Lauterbach: Umwerfende. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet, und das hatte ich auch nicht bezweckt. Es war mir einfach ein echtes Bedürfnis, mich bei meinen Kollegen in der Redaktion und  den Wegbegleitern aus dem Schulbetrieb zu bedanken und nicht einfach zu sagen, ich bin dann mal weg. Unmittelbar danach begab ich mich auf eine  Reise in die Arktis –  kein Netz, kein  Handyempfang, so dass ich erst, als ich wieder deutschen Boden unter meinen Füßen hatte, in mein E-Mail-Postfach schaute. Ich weiß noch, wie ich im Zug auf dem Weg von Frankfurt nach Dresden an Eisenach vorbei unterhalb der Wartburg entlang fuhr und die Burg nur unter einem Tränenschleier wahrnehmen konnte, so gerührt war ich. Die wertschätzenden Reaktionen von Kollegen und aus dem Bildungsbetrieb haben mich umgehauen. Das geht mir bis heute noch nahe.

SMK-Blog: Nun verlassen Sie die redaktionelle Bühne in einer aufregenden Zeit. Schülerzahlen steigen, Lehrer werden händeringend gesucht. Juckt es Ihnen nicht unter den Fingernägeln, wieder zur Tastatur zu greifen?

Lauterbach: Ja, natürlich. Wenn man das Geschäft fast 26 Jahre lang betrieben hat!  Und dann gibt es jetzt diese Phase, die würde ich journalistisch schon gern begleiten. Aber meine Entscheidung zur Altersteilzeit fiel vor drei Jahren und sie steht. Dennoch werde ich nicht ganz von der Bildfläche verschwinden. Die Redaktion wünscht sich, dass ich der Zeitung schon noch  zur Verfügung stehe. Das habe ich gern zugesagt. Ich werde also schon noch einiges schreiben. Aber es wird keinesfalls mehr in dem Umfang sein, wie zuvor. Aus dem Tagesgeschäft bin ich raus.

SMK-Blog: Sie haben sich wie kaum jemand sonst in Sachsen der Bildungspolitik verschreiben können. Bildungsjournalisten gibt es in der Regel nur bei überregionalen Qualitätsmedien. In Regionalmedien dagegen führen meist Generalisten das Wort. Zudem müssen immer weniger Redakteure mehr leisten. Mussten Sie sich die Freiräume bei der Sächsischen Zeitung hart erkämpfen oder hat man sie Ihnen gewährt?

Lauterbach: Ich habe es immer als absolutes Privileg empfunden, dass ich mich so tief in das Bildungsthema hineingraben durfte. Dabei habe ich mir das Thema nicht freiwillig gewählt. Ich bin im Oktober 1990 zur Sächsischen Zeitung zurückgekehrt und in das Ressort Innenpolitik eingegliedert worden. Dort habe ich, wie damals üblich, natürlich alles gemacht. In dieser Umbruchzeit haben wir die Themen quasi von der Straße aufgelesen. Vieles war möglich. Auf einmal hieß es aber, Sachsen bekäme ein neues Schulsystem und ein neues Schulgesetz. Das hat die Leser schon damals unheimlich bewegt. Ich kann mich entsinnen, in dem ersten Tagungsort des Sächsischen Landtages, in der Dreikönigskirche, standen Wäschekörbe voll mit Zuschriften zum Schulgesetz mit Wünschen, Forderungen und Hinweisen. Ebenso hat unsere Redaktion massenhaft Zuschriften bekommen. Da wurde unserer Chefredaktion klar, das ist ein Thema, an das sich jemand mal speziell dransetzen sollte. In dieser Situation kam man auf mich zu. Ich habe damals zwar nicht hurra gebrüllt, aber ziemlich schnell Begeisterung an diesem Thema gefunden. Mir war auch schnell klar, dass sich daraus ein sehr ergiebiges journalistisches Potential ergibt. Zum damaligen Zeitpunkt konnte ich aber nicht ahnen, dass ich , mit kleinen Unterbrechungen, das Thema so lange beschreiben würde, sieben Kultusminister erleben und im Amt überleben würde. Damals wie heute hat die Chefredaktion aber immer erkannt, was für ein großes Leserinteresse damit bedient werden kann. Nicht alle Leser  haben  mal einen Baum gefällt, aber alle sind in die Schule gegangen. Bildung interessiert praktisch jeden, das merken wir in der jüngeren Zeit allein an den Klicks im Internet oder an der Auswertung der Lesequoten. Ich  sage mir, dass ich wohl nicht alles falsch gemacht habe, so dass ich dabei bleiben und schreiben durfte. Mir wurde einfach ermöglicht, dass ich dieses Thema bedienen konnte.

SMK-Blog: Bildung ist zwar immer spannend, aber was war die aufregendste Zeit für Sie?

Lauterbach: Zunächst einmal das neue Schulsystem. Das ist für uns Hiesige ein totaler Umbruch gewesen. Das habe ich auch persönlich erlebt, weil meine Tochter 1990 zur Schule gekommen ist. Ich erinnere mich aber auch an die heißen Debatten zum Schulgesetz in der Dreikönigskirche und an die massiven Lehrerdemonstrationen vor der Kirche. Ich erinnere mich mit Grauen an die Diskussion um die Lehrerteilzeit. Es begann bei den Grundschullehrern, die wie aus der Wirklichkeit fielen, als sie mitbekamen, dass sie von Lehrerkollegen anderer Schularten keine Unterstützung mehr erfuhren (Anmerkung der Redaktion: 1997 wurde die Arbeitszeit der Grundschullehrer auf 57 Prozent ohne Lohnausgleich gesetzt). Ich habe damals auch über persönliche Schicksale geschrieben, die mir selbst sehr nahe gegangen sind. Dann folgten die Schulschließungen. Es gehört zu meiner Profession das alles rational zu betrachten, doch ich habe es natürlich auch emotional erlebt. Es gab dabei schlimme Einschnitte für Familien.

SMK-Blog: Bis auf den Umbruch im Schulsystem sind die Einschnitte, die sie nannten, letztendlich Folge einer demografischen Entwicklung. Die Schülerzahlen fielen so stark wie in keinem anderen Bundesland, sie halbierten sich.

Lauterbach: Ja, das stimmt, das war dramatisch. Deshalb sagte ich auch, dass ich das Thema rational behandeln musste.

SMK-Blog: Die Bildungslandschaft hat sich in den vergangenen 25 Jahren stark verändert, aber auch der Journalismus, ist ein anderer geworden. Mit dem Internet wuchs die Bedeutung der Aktualität. Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen eine stärkere Boulevardisierung – mehr Drama, weniger Analyse. Hat die Sächsische Zeitung die richtige Antwort darauf?

Lauterbach: Ich glaube, diese Antwort hat noch keine Redaktion gefunden. Für mich hat der Prozess allerdings schon viel früher begonnen. Um 1989/90 aktiv im Journalismus tätig gewesen zu sein, ist etwas, was einem niemand nehmen kann. Das ist eine Wahnsinnszeit für uns Journalisten gewesen, das steckt in jedem, der damals dabei war noch drin. Natürlich ist die Entwicklung danach von einer Rasanz geprägt gewesen, dass man es mitunter kaum noch aushalten konnte. Es hat sich unheimlich viel geändert, und ich bin nicht immer glücklich darüber. Die meisten Redaktionen sind der Boulevardisierung erlegen, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass sie  Einschaltquoten messen konnten. In unserer Redaktion haben wir darüber immer gestritten und um das Beste für den Leser gerungen. Ich denke, der Sächsischen Zeitung ist es gut gelungen, eine Balance zu halten. Sicher gibt es vereinzelt etwas auch in meiner Zeitung, über das ich den Kopf schüttle, aber es gibt viel mehr Artikel über die ich mich freue. Das hängt auch sicher damit zusammen, dass wir immer ein Team von gestandenen und jungen Journalisten sind und eine Leitung haben, die nicht über uns steht, sondern Zeitung mit den Redakteuren macht. Sex und Crime Themen haben es bei uns  in meiner Erinnerung nie auf die Titelseite geschafft.

SMK-Blog: Aber ist es nicht paradox, dass einerseits boulevardeske Zeitungsinhalte von Lesern eher gelesen werden, was auf Kosten der Information und Aufklärung geht und Medien sich andererseits Ende 2014 mit dem Lügenpressevorwurf konfrontiert sahen. Wir beide wissen, der Vorwurf ist so perfide wie falsch…

Lauterbach: Ja.

SMK-Blog: … aber er offenbart, dass sich Medien schon seit längerem in einer Glaubenskrise befinden. Wie können Medien diese Krise bewältigen?

Lauterbach: Das muss man differenzieren. Wenn ich mir einerseits manche Leserbriefe anschaue oder an die Mails denke, die auch ich auf meine Artikel bekam, dann fällt es mir mitunter schwer, Verständnis zu entwickeln. Da basteln sich Leser zum Teil Behauptungen oder Verschwörungstheorien zurecht, beharren darauf und machen Journalisten zum Blödmann. Ich frage mich, ob man diese Leute überhaupt noch erreichen kann. Auf der anderen Seite hat sich die Medienlandschaft in eine Richtung entwickelt, die man durchaus kritisch betrachten kann. Ich denke an den Hinterzimmerjournalismus auf der größeren Politikebene. Natürlich gibt es auch Journalisten, die  glauben, die besseren Politiker zu sein und  somit  eine gewisse Arroganz an den Tag legen. An diesem Punkt sollten sich Journalisten wieder in die Niederungen begeben und schauen, was ihre Aufgabe ist und  was die Leute wirklich umtreibt. Aber ein allgemeingültiges  und erfolgsversprechendes Rezept, um aus der Glaubenskrise herauszukommen, habe ich auch nicht. Leider.

SMK-Blog: Kann ein konstruktiver Journalismus vielleicht die Antwort sein?

Lauterbach: Das ist gar keine Frage. Ich sehe es als die ursächliche Aufgabe des politischen Journalismus, die Politik zu kontrollieren,  Mängel aufzudecken, aber auch sachlich zu bleiben. Das Draufhauen, um des Draufhauen willen, bringt keine Punkte. Ich weiß, dass das manche Journalisten schon gern machen. Aber das ist nie meine Sache gewesen und auch für meine Redaktion würde ich das weit von mir weisen. Dennoch täte es der ganzen Branche gut, sich auf die eigentlichen Aufgaben des Journalismus zurückbesinnen.

SMK-Blog: Die fürchterlichen Ausschreitungen in Heidenau liegen nun ein Jahr zurück. Sie brachten in Ihren Artikeln die ausländerfeindlichen Vorfälle in einen direkten Zusammenhang mit einer unzureichenden politischen Bildung an Schulen. Darüber haben wir beide auch kontrovers diskutiert. Wie ist es um denn um den politischen Bildungsauftrag der Medien bestellt?

Lauterbach: Ich habe der Schule nicht per se ein Defizit unterstellt. Aber es ist legitim der Frage nachzugehen, ob und wie Schule zur politischen Bildung beiträgt, wie Schüler und Lehrer das selbst empfinden.

Aber zu Ihrer Frage: Natürlich haben Medien einen politischen Bildungsauftrag. Aber sie sollten dem Auftrag in einer Art und Weise nachkommen, die den Leser nicht bevormundet. Das beginnt bei der Themenauswahl und hört mit der Art und Weise auf, wie ich Themen präsentiere.

SMK-Blog: Dennoch gibt es die Entwicklung, journalistische Stilformen zu vermischen. Da bekommt der vermeintlich objektive Bericht kommentierende Elemente. Wird der Leser auf diesem Wege nicht entmündigt und entlarvt die Leserschaft diese Verquickung nicht?

Lauterbach: Eindeutig ja. Das ist etwas, was mich selbst enorm stört. Da stehe ich doch sehr in der Tradition der alten Schule und damit der  klaren Trennung von Bericht und Kommentar. Ich wünschte mir in den Redaktionen mehr Rückbesinnung darauf. Dabei geht es nicht allein um die Vermischung von journalistischen Stilformen. Das beginnt schon damit, wie man einen Artikel mit dem Vorspann oder der Unterzeile präsentiert. Da bemerke ich oft keine saubere Herangehensweise im eben beschriebenen Sinne. Ich will Journalisten aber nicht unterstellen, den Lesern bewusst eine Meinung unterzujubeln, sondern das passiert, um den Leser in die Geschichte hineinzuziehen. Das ist ein sehr schmaler Grat, den Journalisten da gehen müssen und nicht immer gelingt das.

SMK-Blog: Andrea Schawe wird Mitte September Ihre Stelle besetzen. Sie hinterlassen große Fußstapfen. Welchen Rat geben Sie ihr?

Lauterbach: Zunächst einmal ist es nicht selbstverständlich, dass meine Stelle wieder besetzt wird. In anderen Redaktionen fallen die Stellen meist dem Sparzwang zum Opfer. Und ich weiß auch nicht, ob meine Nachfolgerin die Stelle so ausfüllen darf, wie ich es durfte. Und ich will eines richtig stellen: Ich hinterlasse keine großen Fußstapfen. Ich hatte das Glück, dass ich die Freiräume hatte, mich sehr intensiv dem Bildungsthema widmen zu können. Jeder, der diese Möglichkeit gehabt hätte, hätte das genauso hingekriegt wie ich. Am Ende war ich die BiIdungstante der Redaktion. Ob meine Nachfolgerin auch die Bildungstante werden wird, weiß ich nicht. Ich hoffe und gehe davon aus, dass die Leitung der Sächsischen Zeitung einen Schwerpunkt auf das  Bildungsthema setzen wird. Und ich habe mich wirklich sehr gefreut, als ich hörte, dass Andrea Schawe die Stelle besetzen wird. Denn ich schätze sie als Mensch und ich schätze ihre „Schreibe“.

Das Interview führte Dirk Reelfs.

Dirk Reelfs, Pressesprecher im Sächsischen Staatsministerium für Kultus

0 Kommentare